Politik und Verwaltung als Gegenspieler
Eine Naturschutzbehörde vereitelt die politische Mehrheitsentscheidung für das Verbot der Verwendung von Dünge- und Pflanzenbehandlungsmitteln in einem Naturschutzgebiet – ein Erfahrungsbericht aus dem politischen Verwaltungshandeln.
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Ein Lehrbeispiel aus der Stadt Münster
Von Thomas Wegmann
Die Aa ist ein Niederungsgewässer im westlichen Münsterland. Ihre Quellen entspringen am Fuße der östlichen Baumberge. Der Bach mündet, nachdem er die historische Stadtmitte Münsters durchflossen hat, nach kurzem Lauf in die Ems.
Mit Erreichen des Gebietes der kreisfreien Stadt Münster durchfließt die Aa das Gebiet des neu aufzustellenden Landschaftsplans „Roxeler Riedel“. Hier prägt sie ein von der Oberflächenform her im Gelände gut abgrenzbares Bachtal. Die wertgebenden Elemente für die Ausweisung der Aa-Aue als Naturschutzgebiet sind die vorhandenen kleinteiligen Lebensraumstrukturen, die Bedeutung der Bachaue für den Wasserhaushalt und ihre Funktion im lokalen Biotopverbund. Die Unterschutzstellung geschieht im Zuge des Aufstellungsverfahrens des Landschaftsplanes per Satzungsbeschluss (Stadt Münster 2012).
Trotz dieser Wertstrukturen des Natur- und Umweltschutzes finden in der Bachaue in erheblichem Umfang Ackerbau- und Grünlandnutzung statt (Stadt Münster 2012). Die vom Landesumweltamt NRW (per E-Mail 2012) festgestellte, ganzjährig zum Teil um ein Vielfaches über den EU-Grenzwert liegende Phosphatbelastung und die jahreszeitlich hohe Stickstoffbelastung sind wahrscheinlich auf diese landwirtschaftlichen Nutzungen zurückzuführen.
Um zukünftig eine natur- und umweltschutzgerechte Entwicklung von Wasserqualität, bachauentypischen Lebensraumstrukturen sowie von Tieren und Pflanzen im Naturschutzgebiet zu ermöglichen, setzten sich Vertreter aus fünf Ratsparteien dafür ein, die Phosphat- und Nitratbelastung der Aa deutlich, dauerhaft und ursächlich zu verringern (durch den überparteilichen Antrag wäre eine Ratsmehrheit erreicht worden). Dabei wurde zur Kenntnis genommen, dass freiwillige Vertragsnaturschutzvereinbarungen nicht geeignet sind, die Gewässerbelastungen dauerhaft zur vermindern. Aktuelle Praxisbeispiele aus Nachbarkreisen Münsters zeigen, dass Landnutzer diese Verträge vielfach aufkündigten oder nicht verlängerten, um auf den Aueflächen Grünschnitt oder Ackerbaufrüchte in intensiver Anbauweise zu erzeugen. Die Produkte werden dann zu Biogas verarbeitet, welches einen höheren wirtschaftlichen Ertrag bringt als die Naturschutz-Entschädigungszahlungen.
Mit dem Ziel, eine dauerhafte Lösung für das Naturschutzgebiet Aa-Aue herbeizuführen, erarbeiteten die Parteien einen gemeinsamer Änderungsantrag zum Landschaftsplanentwurf Roxeler Riedel der unteren Landschaftsbehörde und reichten diesen im Umweltausschuss zur Abstimmung ein. Dieser sah folgende Satzungsänderungen für das Naturschutzgebiet vor (SPD et al. 2012):
Die von der unteren Landschaftsbehörde vorgesehene Einschränkung der Anwendung von Dünge- und Pflanzenbehandlungsmitteln, ausschließlich durch freiwillige vertragliche Vereinbarungen mit den Grundstückseigentümern oder Nutzungsberechtigten, ist zu streichen.
Sie ist zu ersetzen durch die Formulierung: „Ziel der Schutzausweisung ist insbesondere, die Anwendung von Pflanzenbehandlungs-, Schädlingsbekämpfungs- oder Düngemitteln schnell zu verringern und möglichst bald ganz auszuschließen. Als Entwicklungsziel wird weiterhin festgesetzt, dass die Ackerflächen im NSG Aa-Aue (Überschwemmungsgebiet) langfristig in Grünflächen umzuwandeln sind.“
Mit einem Zusatzänderungsantrag setzte der Vertreter einer Ratspartei die zeitlich unbestimmten Begriffe näher fest. Demnach sollte die Verwendung von Pestiziden nach einer zweijährigen Übergangsfrist gänzlich verboten werden und die Anwendung von Düngemitteln in NSG so reduzieren werden, dass es zu keiner Stickstoffanreicherung in Grund- und Oberflächenwasser kommt, die über der im Naturraum natürlich vorkommenden Belastung liegt (Die Linke 2012). Eine entsprechende Nutzungseinschränkung ist in der Regel entschädigungsfrei. Sie bezieht sich auf die Eigentumsverpflichtung für das Gemeinwohl und auf die Hinnahme naturräumlich bedingter Nutzungseinschränkungen (siehe Schink 1985).
Während der Behandlung der Änderungsanträge im Umweltausschuss sprach sich der Vertreter einer privaten Naturschutzstation als sachkundiger Bürger gegen den Änderungsantrag aus und plädierte für die Durchbringung der Minderungsziele alleinig über das Instrument des freiwilligen Vertragsnaturschutzes. Gründe nannte er nicht. Daraufhin zog die größte antragstellende Partei den gemeinsamen Änderungsantrag zurück, womit auch der Zusatzänderungsantrag hinfällig wurde.
Im Zuge der öffentlichen Auslegung des Landschaftsplanes reichten die Parteien ihre Änderungswünsche als gemeinsame Bedenken erneut ein. Nach entsprechenden Verhandlungen schloss sich auch die größte, bislang unbeteiligte Ratspartei dem Antrag inhaltlich an.
Im Oktober 2013 legte die untere Landschaftsbehörde den Ratsparteien die eingegangenen Bürgereinwendungen und ihre behördlichen Stellungnahmen hierzu vor. Darin nimmt sie die von den Parteien eingebrachten Änderungswünsche zur Kenntnis, distanziert sich hiervon im Folgesatz mit der Begründung: „Im Zuge der erfolgreichen Aufstellung und Verabschiedung der schon vorhandenen Landschaftspläne ist aber immer die Freiwilligkeit der Umsetzung von Maßnahmen zu Grunde gelegt worden, diese Vorgehensweise ist auch für den Landschaftsplan Roxeler Riedel vorgesehen.“ Im Weiteren spricht sie sich explizit für die ausschließliche Regelung der landwirtschaftlichen Nutzungsintensität über den freiwilligen Vertragsnaturschutz aus (Stadt Münster 2013).
In der abschließenden Beschlussvorlage für den Rat formuliert die Untere Landschaftsbehörde wiederholend, der Verzicht von Pflanzenbehandlungs-, Schädlingsbekämpfungs- und/oder Düngemittel werde ausschließlich über freiwillige vertragliche Vereinbarungen verhandelt (Stadt Münster 2014). Damit ignorierte die untere Landschaftsbehörde die politische Mehrheitsentscheidung im Umweltausschuss, indem sie sich wiederholt weigerte, einen entsprechenden Passus in die Ratsvorlage einzufügen. Eine überparteiliche Aufklärung der Ratsmitglieder zum zuvor vereinbarten Abstimmungsverhalten war aufgrund der Kürze des Zeitraumes von etwa acht Wochen nicht möglich. Diese Zeit wurde den Ausschussmitgliedern von der unteren Landschaftsbehörde gefüllt mit Zusatzverhandlungen über die Erweiterung des privilegierten Bauens der Landwirtschaft in den Außenbereichen des Landschaftsplangebietes. Entsprechende Zugeständnisse führten zu mehrmaligen Änderungen der Beschlussvorlage. In der Ratssitzung am 2. April 2014 beschloss der Rat mehrheitlich die Verwaltungsvorlage.
Nachdem ein von zwei Parteien gewünschtes Gewässermonitoring zur Feststellung der Stickstoff- und Phosphateinträge in das Aa-Gewässer von der unteren Landschaftsbehörde abgelehnt wurde und die Reduzierung bzw. das Verbot dieser Stoffe dauerhaft nicht geregelt ist, werden chemisch-physikalische Maßnahmen, wie Phosphatfällung, Gewässerlaufverkürzung zur Erhöhung der Fließgeschwindigkeit sowie der Bau, das Betreiben von Sedimentfallen und das Entsorgen der Sedimente, dauerhaft im Naturschutzgebiet „Aa-Aue“ (weiterhin) durchgeführt werden müssen, um die Fische und Menschen gefährdende Blaualgenentwicklung und die Bildung von großflächigen Algenwatten in der Aa zu beschränken.
Zitierte Vorlagen/Literatur
Die Linke (2012): Änderungsantrag zur Vorlage V/0725/2011 Landschaftsplan Roxeler Riedel – Offenlegungsbeschluss. Münster, 19.06.2012.
Schink, A (1985): Naturschutzfestsetzungen und Grundeigentum. Agrarrecht 15 (7), 183-193.
SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, Piraten Partei, ödp (2012): Änderungsantrag zur Vorlage V/0725/2011 „Landschaftsplan Roxeler Riedel – Offenlegungsbeschluss.“ Münster, 19.06.2012.
Stadt Münster (2012): Landschaftsplan Roxeler Riedel – Offenlegungsbeschluss. Vorlage V/0725/ 2011, Münster, 32.
– (2013): Landschaftsplan Roxeler Riedel – Satzungsbeschluss. Vorlage Nr. 0448/2013 an den Rat, Münster, 3, 14.10.2013.
– (2014): Öffentliche Beschlussvorlage. Vorlagen-Nr.: V/0448/ 20131/1. Betrifft: Landschaftsplan Roxeler Riedel – Satzungsbeschluss, 1, 17.01.2014.
Anschrift des Verfassers: Dr. Thomas M. Wegmann, Dorotheenstraße 19, D-48145 Münster, E-Mail ThomasWegmann@gmx.net.
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