EU-Haushalt und Agrarreform: weiter wie bisher?
Die Befürchtung, dass während der irischen EU-Ratspräsidentschaft „dicke Bretter gebohrt“ werden müssen, hat sich in den Beschlüssen der letzten Wochen bewahrheitet. Am 23./24. Januar 2013 entschied der Agrarausschuss des Europäischen Parlamentes (EP) über seine fast 8000 Änderungsanträge zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Dabei wurden all diejenigen bitter enttäuscht, die aufgrund des dem EP seit dem Lissabon-Vertrag vom Dezember 2009 gewährten vollen Mitbestimmungsrechts in Agrar- und Finanzfragen gehofft hatten, die „Bürgervertretung“ unter den EU-Institutionen würde die Interessen der Bürgerinnen und Bürger bzw. Steuerzahler der Mitgliedstaaten vertreten.
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Mit der Mehrheit der konservativen und liberalen Abgeordneten, darunter auch den deutschen Ausschussmitgliedern beider Fraktionen, wurden zahlreiche Änderungsvorschläge beschlossen, die die – aus Umweltsicht ohnehin zaghaften – Ansätze der EU-Kommission zur Ökologisierung der Agrarpolitik restlos aufweichen würden, insbesondere die zentralen Bausteine des „Greenings“ der 1. Säule der GAP: Ökologische Vorrangflächen sollen nach Ansicht der Agrarpolitiker zunächst bis 2015 nur auf 3 %, ab 2016 auf 5 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen geschaffen werden. Erst wenn dieses nach einer Evaluierung durch die EU-Kommission im Jahr 2017 als „sinnvoll“ erscheint, sollen ab 2018 die von der Kommission vorgeschlagenen 7 % möglich sein. Dabei gelten die Vorrangflächen als Kernstück und wichtigste Maßnahme des „Greenings“ und sollten nach Expertenmeinung eher 10 % der Agrarflächen jedes Betriebes umfassen.
Die Anforderungen an eine vielfältigere Fruchtfolge will der Ausschuss auf zwei Fruchtarten reduzieren, wobei eine der beiden Kulturen bis zu 80 % ausmachen darf. Zudem sollen die „Greening“-Auflagen nur für Höfe über 10ha Fläche gelten und noch nicht einmal verpflichtend sein. Außerdem sollen nach Vorstellung der Agrarpolitiker auch Gelder aus der ohnehin knapper ausgestatteten 2. Säule der Agrarpolitik, aus der Agrarumweltmaßnahmen und Kulturlandschaftsprogramme kofinanziert werden, in Direktzahlungen umgeleitet werden können. Schließlich schlug der Ausschuss noch massive Abstriche bei den Cross-Compliance-Regelungen vor, die bei Realisierung zu erheblichen Problemen insbesondere für kommunale Wasserwerke führen könnten: Während Vorschläge zur Einbindung der Wasserrahmenrichtlinie und zur Pestizidreduktion keine Mehrheit fanden, wurden statt dessen sogar zehn von 21 derzeit bestehenden CC-Regelungen zur Disposition gestellt, darunter die seit Jahren bewährten Regelungen zum Grundwasserschutz, zum Erosionsschutz und zur Bodenbedeckung. Zwar gelten diese Vorschriften auch in Zukunft, Verstöße sollen aber nicht mehr durch die Streichung von Subventionen geahndet werden können.
Politiker von Grünen und SPD, Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutzverbände, aber auch Vertreter anderer Institutionen zeigten sich entsprechend entsetzt. Das Plenum des EP ist jetzt gefordert, diesem „unvertretbaren Kniefall vor der Agrarlobby“, so NABU-Präsident Olaf Tschimpke, bei seinen Beratungen Mitte März nicht zu folgen.
Viele Beobachter hatten nach dem Scheitern des Sondergipfels zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU im November gehofft, dass Ratspräsident Herman Van Rompuy sowie die Staats- und Regierungschefs sich von den dort vorherrschenden nationalen Egoismen lösen und im zweiten Anlauf doch noch einen „intelligenteren“, zukunftsfähigen Haushalt beschließen könnten. Doch auch diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Mit seiner Drohung, beim nochmaligen „Platzen“ des Gipfels weitere Haushaltsverhandlungen erst nach den Bundestagswahlen im Herbst 2013 aufzunehmen, schaffte es Van Rompuy, die Gipfelteilnehmer auf einen um etwa 100Mrd.€ reduzierten Haushalt festzulegen.
Ergänzt durch die Drohung Großbritanniens, bei unzureichenden Sparanstrengungen den EU-Haushalt zu blockieren, und die Forderung Frankreichs, die Direktzahlungen im Agrarhaushalt nicht oder nur wenig zu kürzen, blieben bei diesem „Streichkonzert“ die in allen politischen Sonntagsreden beschworenen Vorsätze weitgehend auf der Strecke. Die wesentlichen Subventionstöpfe wie Strukturförderung und Agrarpolitik, die derzeit jeweils etwa 40 % des gesamten EU-Haushalts ausmachen, wurden zwar auch eingekürzt, aber ausgerechnet bei Zukunftsthemen wie Forschung und Innovation wurde wesentlich stärker gespart.
Immerhin konnte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mit ihrer vor dem Gipfel erhobenen Forderung durchsetzen, die ökologischen Vorrangflächen auf 3,5 % zu begrenzen, was noch hinter den Vorschlägen des EP-Agrarausschusses zurückgeblieben wäre. Zudem haben zwar auch die Staatschefs für eine in mehrfacher Hinsicht flexible Handhabung des „Greenings“ durch die Mitgliedstaaten votiert, aber auch klar gestellt, dass die Auflagen für alle Landwirte verbindlich gelten müssen, und dass ökologische Vorrangflächen keine Stilllegungsflächen darstellen, wie Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner und DBV-Präsident Joachim Rukwied immer wieder behauptet haben.
Enttäuschend ist auch, dass die Mitgliedstaaten ebenso wie der Agrarausschuss im EP eine überproportionale Kürzung der 2. Säule sowie eine Umschichtung eines Teils dieser ohnehin knappen Gelder in die 1. Säule befürworten. In diesem Zusammenhang (Nr. 72) haben immerhin Frankreich (1 Mrd. €), Italien (1,5 Mrd.), Österreich (700 Mio.), Finnland (600 Mio.) und weitere Staaten noch zusätzliche Gelder für ihre benachteiligten landwirtschaftlichen Gebiete herausgehandelt, während Deutschland – obwohl größter Nettozahler – und seine kleinen Landwirte etwa in Mittelgebirgsregionen hiervon nicht profitieren.
LIFE wird zwar unter Nr. 74, gemeinsam mit dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) erwähnt, das ohnehin knappe Budget von derzeit nur 0,2 % des EU-Haushalts aber gegenüber den Vorschlägen der Kommission von 3,2 auf nur noch 2,95 Mrd. € gekürzt. Appelle und Beschlüsse des Europäischen Parlaments und des Umweltministerrats zur Erhöhung des LIFE-Budgets wurden also missachtet, ebenso wie von Merkel die entsprechenden Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat.
Sowohl der EU-Haushalt als auch die Reform der GAP münden in den kommenden Monaten in die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Ministerrat, Parlament und Kommission, die spätestens im Herbst 2013 abgeschlossen sein müssen.
Die Gipfelbeschlüsse zum EU-Haushalt in Deutsch: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_Data/docs/pressdata/de/ec/135379.pdf
Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de
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