Einen Zehnten für die Natur
Hans ist ein Streithahn. Besonders wenn er um die Gunst „seiner“ Hennen buhlt und Rivalen attackiert. Aber mehr noch: Der stattliche Auerhahn, Coverboy dieses Heftes und wissenschaftlich gut bekannter Akteur in einer Telemetriestudie im Nordschwarzwald, heizt auch, ohne es zu wissen, einen Streit zwischen Naturschützern an: Verträgt sich der Prozessschutz, verbunden mit Ausweisung eines Nationalparks im Nordschwarzwald, mit dem Schutz dieses Vogels? Immerhin betrifft es eines seiner letzten außeralpinen Vorkommensgebiete in Deutschland.
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400 Auerhühner leben im Nordschwarzwald, weitere 60 im mittleren und 140 im südlichen Schwarzwald. Der Nationalpark wird Prozesse wie Borkenkäferbefall, präventiver Einschlag von Fichten, klimabedingten Waldwandel und Sturmereignisse erleben. Aber diese betreffen nur einen eher kleineren Teilraum seines Verbreitungsgebiets. Und sie werden voraussichtlich die vom Auerhuhn benötigten Strukturen eher fördern denn schädigen – zumindest für die kommenden 100 Jahre.
Hans steht als Beispiel für mindestens drei Zwiespalte: für innerfachliche Konflikte des Naturschutzes; für Konflikte zwischen Naturschutz und Energiewende – denn er teilt sich die Hochlagen mit windhöffigen Wunsch-Standorten für Windenergieanlagen; für Konflikte zwischen Naturschutz und Landnutzern wie Forstwirtschaft und Holzindustrie. Klar, Deutschland ist dicht besiedelt und seine Wirtschaft hoch entwickelt und technisiert. Damit verbunden sind eine hohe Landnutzungsintensität und ein hoher Flächenverbrauch durch Siedlungs- und Verkehrsflächen – aktuell für die Periode von 2007 bis 2011 zwar gesunken auf 81ha pro Tag, aber noch weit von dem Ziel der Bundesregierung von 30ha entfernt. Die Folge: Um jeden Nutzungsverzicht, und sei er auch noch so gut begründet, wird erbittert gestritten.
Beispiel Nr. 1: Die von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos¸ vorgesehenen 7 % ökologische Vorrangflächen in der Ackerlandschaft wird heftig bekämpft, allen voran durch den Deutschen Bauernverband. Derzeit erscheint ungewiss, ob überhaupt etwas Nennenswertes dieses Kerns der neuen Agrarförderung übrig bleibt. Der „stumme Frühling“ ist mancherorts in der Agrarsteppe schon Realität. Dabei sägt die Landwirtschaft, ohne es zu merken, den Ast, auf dem sie sitzt, selber ab: Der brutale Exodus der Blütenbestäuber aus der Agrarlandschaft etwa hat Folgen, denn von deren Bestäubungserfolg lebt auch die Landwirtschaft in ökonomischer Hinsicht!
Beispiel Nr. 2: Im Nordschwarzwald wird nicht minder erbittert um das Pro und Kontra der Ausweisung eines Nationalparks gekämpft – Naturschutz und Landschaftsplanung hat das mehrfach mit Beiträgen verdeutlicht. Im vorliegenden Heft begeben sich Prof. Rainer Luick und Prof. Albert Reif von der Frosch- (oder hier: Auerhahn-)Perspektive in die Adlerperspektive, indem sie die Art der Diskussion analysieren. „Der Missbrauch wissenschaftlichen Arbeitens als politischer Hebel hat besonders im Kontext kontrovers diskutierter Zielsetzungen und Objekte Konjunktur“, stellen sie fest. Nur ein selbstkritisches Hinterfragen bestehender Argumentationslinien schützt vor der Gefahr von Fehlschlüssen, folgern unsere Autoren – ein Befund, der täglich auf viele Situationen übertragbar ist.
Streitthemen und Streithähne also allerorten. Nur die realen Hähne, seien es Auer-, Birk-, Hasel- oder Rebhuhn, die finden in unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft immer schlechtere Lebensbedingungen. Ebenso die Fledermäuse: Nachdenklich stimmt der Beitrag zu den Folgen von Kleinwindenergieanlagen für Fledermäuse genauso wie der Tagungsbericht zu Windkraft und Fledermäusen – letzterer mit dem erschreckenden Befund, dass über die Wirkungen von WEA über Wald auf diese europarechtlich komplett geschützte Artengruppe kaum etwas bekannt ist.
Auerhahn Hans juckt all das überhaupt nicht. Uns aber sollte er als Mahner dienen: Der Mensch ist nicht allein auf der Welt. Seit dem Mittelalter bis in das 19. Jahrhun-dert hatte jeder Bürger einen Zehnten zu zahlen, die Abgabe des zehnten Teils vom Ertrag eines Grundstücks, meist an die Kirche. Die Menschheit wäre in eigenem Interesse gut beraten, einen Zehnten der Natur zu überlassen – sei es dem Prozessschutz im Wald oder als Netz ökologischer Vorrangflächen in der Agrarlandschaft. Zumal dieses Ziel seit genau zehn Jahren (2002) mit der Anforderung von 10 % Biotopverbundfläche bereits im Bundesnaturschutzgesetz steht. Warum ist das so schwierig?
Denn auch das ist in diesem Heft nachzulesen, wenigstens ein kleiner Lichtblick: Das Schutzgebiets-Netzwerk Natura 2000 kann, nachgewiesen am Beispiel des niedersächsischen Tieflands, die meisten gefährdeten Arten der Gefäßpflanzen wirksam schützen – nur im Wald nicht. Liegt das vielleicht auch am fehlenden Prozessschutz?
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