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Tagungen

Seevogelbeifang als Problem

Unter dem Titel „No dead birds with my fish dish“ haben BirdLife International und der NABU in Zusammenarbeit mit Ulrike Rodust (Kiel), Mitglied der SPD im Fischereiausschuss des Europäischen Parlamentes, am 29. Juni 2011 im Europäischen Parlament in Brüssel auf das massenhafte Sterben von Seevögeln in der Fischerei aufmerksam gemacht. Gemeinsam mit Vertretern des Europäischen Parlamentes, der Europäischen Kommission, der Wissenschaft und der Fischerei wurden regionale Konflikte und aktuelle Lösungsansätze diskutiert.

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BirdLife-Tagung im Europäischen Parlament

Die gut besuchte Veranstaltung fand im Rahmen der derzeitigen Verhandlungen über eine Neuorientierung der gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union (Common Fisheries Policy, CFP) für die Zeit nach 2013 statt. Denn insbesondere auf den Weltmeeren trägt die Fischerei massiv zum Verlust der biologischen Vielfalt bei, weltweit sind 85% der kommerziell genutzten Fischbestände bis an die Grenzen befischt bzw. gelten als überfischt. Die europäischen Fangflotten tragen wesentlich zu dieser Entwicklung bei, nicht nur in EU-Gewässern, sondern auch vor den Küsten Afrikas und Südamerikas.

Ein besonders tragischer, weil vermeidbarer Aspekt ist der Fang und das jämmerliche Ertrinken von Hunderttausenden von Seevögeln an den Haken der Langleinen und in Stellnetzen. BirdLife International schätzt, dass jährlich über 300000 Seevögel so verenden. Nach jüngsten Studien sterben allein in der Stellnetzfischerei der Nord- und Ostsee bis zu 200000 Meeres- und Tauchenten, Alken und Seetaucher. Weltweit gelten inzwischen 17 von 22 Albatros-Arten als durch die Fischerei vom Aussterben bedroht.

Nach einem kurzen BirdLife-Film zur Bedrohung der Albatrosse begrüßte die Europaabgeordnete Ulrike Rodust alle Anwesenden mit dem Hinweis, diese Bilder würden betroffen machen. Es würde deutlich, dass die CFP überarbeitet und unerwünschte Beifänge vermieden werden müssten. Ziel müsse eine Fischereipolitik sein, die den Fischern helfe, aber auch die Natur schone und die Naturschutzverbände „glücklich“ mache. Sie verwies darauf, dass sie bei der Vorstellung der Kommissionsmitteilung zum Thema am 13. Juli von Fischereikommissarin Maria Damanaki entsprechende Weichenstellungen erwarte, aber auch der Seevogel-Aktionsplan (Seabird Action Plan, SAP) müsse schnellstens vorgelegt werden.

In seinem Einführungsreferat stellte Dr. Euan Dunn, langjähriger Leiter des Fischereireferates beim BirdLife-Partner RSPB aus Großbritannien, die Forschungsergebnisse von BirdLife vor. Neben den meisten Albatros-Arten seien in EU-Gewässern vor allem Balearen-Sturmtaucher und Gelbschnabelsturmtaucher bedroht. An Beispielen der BirdLife-Albatros Task Force (ATF) aus Afrika und Südamerika zeigte Dunn, wie insbesondere der Beifang bei der Langleinen-Fischerei mit einfachsten Mitteln massiv reduziert werden kann: So konnte der Beifang vor den Küsten Afrikas durch den Einsatz von Scheuchleinen (paired streamer lines) und Gewichten, die die Leinen tiefer unter Wasser halten, um 85% reduziert werden, in Brasilien gab es 2010 dank dieser Methoden überhaupt keine Seevogel-Beifänge mehr. Hinsichtlich der EU wies er darauf hin, dass die Europäische Kommission den geplanten Seevogel-Aktionsplan schon 2001 angekündigt hatte: Zehn Jahre seien nutzlos verstrichen, in dieser Zeit über zwei Millionen Seevögel unnöti­gerweise umgekommen. Er mahnte schnellstens einen Aktionsplan ähnlich der FAO 2009 an, der für alle Fangschiffe und Fanggeschirre der EU-Flotte gelten müsse, zudem verstärkte Aufklärung über das Problem und finanzielle Unterstützung der Fischer bei der Umstellung auf seevogelfreundliche Fangmethoden.

Dr. Jochen Bellebaum, Autor der BfN-Studie zum Beifang von Seevögeln im deutschen Teil der Ostsee, der kurzfristig für den erkrankten Dr. Christian Pusch (BfN, Fachgebiet Meeres- und Küstennaturschutz, Insel Vilm) eingesprungen war, stellte die wesentlichen Ergebnisse dieser Studie vor, die auch als BfN-Skript 295 veröffentlicht wurde. Danach muss der Beifang von Seevögeln, insbesondere von Meeresenten, allein durch die Stellnetzfischerei in Mecklenburg-Vorpommern auf mindestens 15000 Vögel pro Jahr geschätzt werden. Meeresenten wie Eiderente, Eisente und Trauerente werden vor allem im Winterhalbjahr Opfer von Stellnetzen, Tauchenten wie Bergente, Reiherente und Tafelente verfangen sich insbesondere in den flachen Küstengewässern in Stellnetzen. Zwei der kritischsten Gebiete sind wegen der enormen Konzentration von überwinternden Wasservögeln die Vorpommersche Boddenküste und die Pommersche Bucht, in der auch mehrere EU-Vogelschutzgebiete ausgewiesen sind.

Lorenz Marckwardt, Vorsitzender des Landesfischereiverbandes (LFV) Schleswig-Holstein, dankte Ulrike Rodust und BirdLife ausdrücklich für die Gelegenheit, auch die Sicht der Fischerei vorstellen zu können. Er betonte, dass auch die Fischer keine Seevögel töten wollten. Man müsse aber nach Lösungen suchen, die gerade für die kleinen Fischerei-Familienbetriebe an der Ostsee realisierbar wären. Zudem gab er zu bedenken, dass es auch andere Ursachen für den Rückgang der Seevögel gebe, etwa Prädation in den Brutgebieten, und dass in Dänemark und Schweden jährlich noch mehr als 60000 Eiderenten geschossen würden. Ziel müsse es sein, „vernünftige Fanggeräte“ zu entwickeln; Langleinen mit Scheuchleinen und Gewichten sowie das Auslegen der Langleinen im Dunkeln seien dafür gute Ansätze. In den Küstengewässern der Ostsee sei aber vor allem die Weiterentwicklung der Stellnetze und der Reusen wichtig, um die Beifänge von Seevögeln und Schweinswalen zu verringern.

Ernesto Penas Lado von der Generaldirektion Fischerei der Europäischen Kommission bemühte sich zu erklären, weshalb die Kommission so lange für den Seevogel-Aktionsplan gebraucht habe. Dahinter stehe keine politische Absicht, sondern die geringen Personalkapazitäten der Kommission und ständig „wichtigere Verpflichtungen“. Er wies darauf hin, dass die Kommission schon in den letzten Jahren Vorschläge für Minderungsmaßnahmen unterbreitet habe, etwa den Einsatz von Pingern zum Schutz von Meeressäugern oder das Verbot des Sandaal-Fanges zum Schutz der Dreizehenmöwe. Er versprach, die Kommission wolle den Entwurf aber im Herbst 2011 oder spätestens im Frühjahr 2012 vorlegen. Zudem werde die geplante Mitteilung zur Fischereireform bereits Regelungen für die Fischerei in Natura-2000-Gebieten enthalten, für den November 2011 sei zudem eine Mitteilung zu Finanzierungsmöglichkeiten geplant. Er wies, wie schon zuvor Euan Dunn, auch auf das Problem hin, dass die Mitgliedstaaten bislang nur unzureichend Fangdaten erheben und zur Verfügung stellen würden.

In der anschließenden Diskussion kritisierte Kriton Arsenis, EP-Kollege von Ulrike Rodust, dass der Seevogel-Aktionsplan keine rechtlich bindende Wirkung haben werde. Er forderte gesetzliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten. Claus Mayr vom NABU schlug vor, im Rahmen des gerade diskutierten EU-Haushaltes (mehrjährige finanzielle Vorausschau, MFF) und des 8. Forschungsrahmenprogramms (FP8) mehr Geld für die Datensammlung und die Erforschung naturverträglicher Fangmethoden bereit zu stellen. Penas Lado verwies darauf, dass der Aktionsplan eine generelle politische Linie vorgeben solle, etwa auch zur Einwerbung von mehr Forschungsgeldern. Marckwardt betonte nochmals, dass die Umrüstung sehr kostenintensiv sei. Er rechnete für die Umstellung von Stellnetzfang auf Langleinen mit 60000 bis 100000 Euro pro Kutter und forderte eine finanzielle Beteiligung der EU. Zudem müssten die Fischer besser aufgeklärt werden, denn „Kein Fischer fängt gezielt dort, wo sich viele Seevögel aufhalten!“.

Zum Abschluss dankte Ulrike Rodust allen Beteiligten, insbesondere für die aufgezeigten Lösungsansätze aus den BirdLife-Projekten. Sie forderte, die neue Fischereipolitik müsse nachhaltig, ökologisch und sozial sein und auf Augenhöhe mit den Fischern erarbeitet werden. Sie habe den Eindruck, dass die neue Fischereikommissarin dafür ein gutes Vorbild sei und dies umsetzen wolle. Nach dem 13. Juli seien daher die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament gefordert, die Änderungsvorschläge der Kommission zu unterstützen.

Weitere Hintergrundinformationen auf der Website des BirdLife-Projektes zur Rettung der Albatrosse: http://www.birdlife.org/seabirds/save-the-albatross.html

BirdLife-website mit Informationen zur Problematik des Seevogelbeifangs im Rahmen der CFP: http://www.birdlife.org/eu/EU_policy/Fisheries_Marine/seabird-bycatch-2011.html

BfN-Studie zum Stellnetzbeifang: http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads-berichte-der-forschungsvorhaben.php

Anschrift des Verfassers: Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, E-Mail Claus.Mayr@NABU.de.

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