Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Aktuelles aus Brüssel

Neue EU-Strategie zur Rettung der biologischen Vielfalt

Ambitioniert, aber nicht ambitioniert genug: Am 03. Mai 2011 hat die Europäische Kommission endlich die lang erwartete neue Strategie zur Rettung der biologischen Vielfalt veröffentlicht: „Our life insurance, our natural capital: an EU biodiversity strategy to 2020“ (COM(2011) 244 final).

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Artikel teilen:

Nachdem das von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten bereits 2001 verabschiedete Ziel gescheitert war, den weiteren Verlust an biologischer Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen, hatten die Staatschefs im vergangenen Jahr ein neues, ambitionierteres Ziel für 2020 und eine Vision für 2050 beschlossen. Danach sollen die natürlichen Lebensgrundlagen der Europäer bis 2020 nicht nur vor weiterem Verlust bewahrt, sondern – „so weit möglich“ – wenigstens teilweise auch wiederhergestellt werden. Zudem wurde gefordert, dass die EU ihren „ökologischen Fußabdruck“ in der Welt reduziert (vgl. Tagungsbericht in Naturschutz und Landschaftsplanung 42, Heft 8, 253-254).

Die nun nach einer Internet-Konsultation sowie fast eineinhalbjährigen Diskussionen zwischen den Kommissionsdienststellen, den Mitgliedstaaten und den „stakeholdern“ präsentierte Strategie stellt diese in den Kontext der „Europa 2020“-Strategie und der Beschlüsse der 10. Vertragsstaatenkonferenz (COP 10) der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) im Oktober 2010. In Nagoya haben sich auch die Europäer zu einigen tiefgreifenden Hausauf­gaben verpflichtet, etwa die Fläche der Schutzgebiete an Land und auf See zu erhöhen und umweltschädliche Subventionen abzubauen. Zudem fasst die Strategie nochmals die wichtigsten Ergebnisse der TEEB-Studie („The Economics of Ecosystems and Biodiversity“) zusammen, um deutlich zu machen, dass ein Schutz der Biodiversität nicht nur aus intrinsischen Gründen, sondern auch aus ökonomischer Sicht notwendig ist.

Aufbauend darauf nennt die Strategie sechs prioritäre Ziele und Handlungsfelder:

(1) vollständige Umsetzung der Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, u.a. durch Verbesserung des Erhaltungszustandes von Arten und Lebensräumen;

(2) Verbesserung der Ökosystemdienstleistungen, u.a. durch Wiederherstellung von mindestens 15 % der beeinträchtigen Ökosysteme;

(3) Maßnahmen, um Landwirtschaft, Forstwirtschaft und

(4) die Fischerei ökologisch nachhaltig zu gestalten – hier geht es vor allem um die Einbindung der Biodiversitätsziele in die derzeitige Reform der gemeinsamen Agrar- (CAP) und Fischereipolitik (CFP) sowie in die Forst-Managementpläne in den Mitgliedstaaten;

(5) Maßnahmen zur Zurückdrängung invasiver Arten (Invasive Alien Species, IAS), die bereits derzeit in der EU nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Schäden im Umfang von mindestens 12,5 Mrd. € jährlich verursachen, gegen die es aber noch keine EU-einheitliche Regelungen gibt;

(6) Beiträge der EU zur ­Reduzierung der globalen Biodiversitätskrise, etwa durch konsequente Umsetzung der Nagoya-Beschlüsse.

Diese sechs Ziele werden in einem Anhang durch 20 konkrete Handlungsempfehlungen weiter konkretisiert.

Die neue Strategie ist also, insbesondere durch die ex­plizite Nennung des Ziels der Wiederherstellung degradierter Lebensräume und die Aufnahme der globalen Dimen­sion, ambitionierter als ihr Vorgänger, der Biodiversitäts-Aktionsplan (BAP) von 2006. Zudem macht Hoffnung, dass die neue Strategie bereits ein Jahr, und nicht erst fünf Jahre, nach dem politisch verabschiedeten Ziel vorliegt.

Andererseits hätten die Naturschutzverbände noch ambitioniertere Ziele gewünscht. So sieht Ziel 1 vor, bis 2020 drei Viertel aller Vogelarten in einen günstigen Erhaltungszustand (Favourable Conserva­tion Status, FCS) zu bringen (derzeit sind es etwa 50 %), sowie ein Viertel aller wichtigen Lebensräume (aktuell nur 17 %). Die Kommission beruft sich hier auf ihre wissenschaftlichen Berater, die eine schnellere Wiederherstellung gestörter Lebensräume für fachlich illusorisch gehalten hätten. Andererseits hat BirdLife immer wieder darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten sich mit Verabschiedung der Vogelschutz- und der FFH-Richtlinie bereits 1979 bzw. 1992 diesem Ziel verpflichtet hatten.

Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der Strategie wurde Umweltkommissar Ja­nez Potocnik gefragt, weshalb Ziel 3 keine quantitative An­gabe mehr enthalte, wie viel Landwirtschaftsflächen im Rahmen der Agrarreform unter die Regelungen zum Schutz der biologischen Vielfalt fallen sollen (im Entwurf war von 60 % die Rede gewesen). Der Kommissar erwiderte, sich mit Agrar-Kommissar Ciolos bewusst auf die Formulierung „maximise“ geeinigt zu haben, um den Diskussionen der Agrarreform nicht vorzugreifen. Im Ziel sei man sich aber einig.

Gerade die Themen Agrar- und Fischereireform werden die Schlüssel zum Erfolg oder Misserfolg der neuen Biodiversitätsstrategie sein. Die Gefahr besteht hier weniger in fehlendem Engagement der Europäischen Kommission, sondern in der Haltung der Mitgliedstaaten, falls die nationalen Regierungen die zaghaften Reformvorschläge der Kommission in den Ministerräten wieder zusammenstreichen. So hat der NABU beispielsweise in einer ersten Reaktion auf die neue Strategie vor allem Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner aufgefordert, endlich entschlossen die Reform von Agrar- und Fischereipolitik voranzutreiben. Zudem kommt es natürlich auch auf die Positionierung des Europäischen Parlamentes zu der neuen Strategie an, auch hier besteht insbesondere im Agrar- und im Fischereiausschuss noch erheblicher Überzeugungsbedarf. Ein erster „Lackmustest“ zur Haltung der Mitgliedstaaten wird die Beratung im Umweltministerrat am 21. Juni sein!

Die neue EU-Biodiversitätsstrategie und zahlreiche Hintergrundinformationen sind auf der Homepage der Kommission abrufbar unter:

http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/co mm2006/2020.htm

Claus Mayr, NABU Direktor

Europapolitik, Brüssel,

Claus.Mayr@NABU.de

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren