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Wer kennt den Begriff ­„Großschutzgebiet“?

Deutschsprachige Fachtermini als Gefahr für den internationalen Wissenschaftsdiskurs – ein Essay

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Von Nora Mehnen, Ingo Mose und Dirk Strijker

Der Gebrauch von bestimmten deutschsprachigen Begriffen kann im wissenschaftlichen Diskurs zu Schwierigkeiten führen. In den Raum-/Planungswissenschaften verwenden deutschsprachige Wissenschaftler Bezeichnungen wie zum Beispiel „Großschutzgebiet“ wie selbstverständlich und gehen davon aus, dass jeder die englische Übersetzung des Terminus („Large (scale) protected area“) sofort versteht. Und ist das so? Nein! In Großbritannien, Polen und auch in den Niederlanden kennt man den Begriff nicht.

Unter dem Begriff Großschutzgebiet werden im deutschen Wissenschaftsgebrauch im allgemeinen Naturparke, Nationalparke und Biosphärenreservate zusammengefasst. Dieser Beitrag soll einige Anmerkungen zu der provokanten Frage formulieren, ob sich die deutschsprachigen Wissenschaftler aus europäischen oder sogar internationalen Diskussionen ausschließen und ob sie zu sehr auf ihre eigene Forschung fokussiert sind, so dass sie oft andere Untersuchungen, insbesondere Studien aus dem angelsächsischen Raum, nicht genügend beachten. Wir betrachten den Diskurs aus sehr unterschiedlichen persönlichen Entwicklungen und aus einer internationalen Perspektive.

In der wissenschaftlichen Diskussion spielen Begriffe und ihre Definition eine sehr bedeutende Rolle. Bei einer Delphi-Befragung fiel auf, dass die deutschsprachigen Experten, also Experten aus der Schweiz, aus Österreich und aus Deutschland, Begriffe verwenden, die in der internationalen Diskussion kaum bekannt und gebräuchlich sind (Mehnen et al. 2009). Eine Delphi-Studie ist ein mehrstufiges Befragungsverfahren, das in der Technologie-, Zukunfts- und Trendforschung eingesetzt wird. Sie geht auf Forecasting-Entwicklungen der RAND-Corporation im Auftrag des Pentagon zurück, ist aber längst ein fester Bestandteil der Forschungsmethoden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die Delphi-Befragung wurde 2009 zum Thema Governance in Schutzgebieten mit Experten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Großbritannien, Polen, Ungarn und den Niederlanden durchgeführt. Sie ist Teil eines international angelegten Promotionsvorhabens an der Universität Groningen. Insbesondere der Begriff „Großschutzgebiet“ scheint demnach bei Experten aus Großbritannien, den Niederlanden, aus Polen und Ungarn nicht bekannt zu sein.Was sind nun die Gründe für die Verwendung des Begriffs? Ein wichtiger Grund ist, dass der Begriff Großschutzgebiet eine konsensuale Klammer für Nationalparke, Naturparke und Biosphärenreservate nach der Sevilla-Strategie darstellt und im deutschen Sprachraum ein etablierter Begriff ist. Large (scale) protected areas = Großschutzgebiete wird vor allem benutzt, weil es (zumindest für den deutschsprachigen Raum) üblich ist; aber auch, weil der Begriff mit IUCN und UNESCO assoziiert wird. Im Kontext geht es nicht nur um Natur-, Landschafts- und Biotopschutz, sondern um Regionalentwicklung, Tourismus und regionalökonomische Effekte. Ein Experte sagt: „Das Gebiet ist ein konkret abgegrenzter Raum. Im Gebiet bestehen gesetzlich festgelegte Vereinbarungen zu seinem Schutz. Das Gebiet weist eine Flächengröße auf, die über geschützte Einzelobjekte (Monumente) ganz deutlich hinausgeht“.

Warum verwenden nun einige Experten nicht diesen Begriff? „Ich vermeide diesen Begriff wenn immer möglich, da er falsche Assoziationen auslöst. In der Schweiz wird von Park/Pärken gesprochen. In der international vergleichenden Diskussion hat man sich allerdings an die Bezeichnung der „protected areas“ gewöhnt und es ist schwierig, eine Alternative zu finden. Im sozio-ökonomischen Kontext eignet sich der Begriff „Modellregionen“.

Andere Wissenschaftler sehen den Begriff insgesamt wenig nützlich als universelle Kategorie. 1000ha sind in Deutschland groß und in Kanada, Grönland oder Afrika eher nicht. Die Besiedlungsdichte sei stattdessen entscheidend. Ob somit ein Gebiet als großräumig gilt, ist sehr vom Zusammenhang abhängig. Ein Experte würde den Begriff nur verwenden, wenn Akteure selbst ein Schutzgebiet als großräumig ansehen. In anderen Fällen würde er ihn nicht gebrauchen. Für die Schutzgebietsklassifizierung in Großbritannien ist der Begriff nicht relevant. Einige der deutschsprachigen Experten verwenden eher den Begriff „protected areas“. Ein weiterer Experte tendiert dazu spezifische Schutzgebiete und Punkte zu diskutieren, die sie auszeichnen; also vorzugsweise die Klassifizierung (Nationalpark usw.) als Ausdrücke, die die Größe eines geschützten Raumes beschreiben, zu gebrauchen.

Ist der Begriff typisch für den deutschsprachigen Raum? Definitiv ja. Warum das so ist, wird von den Experten sehr unterschiedlich begründet. Einige halten die englische Übersetzung nicht für gebräuchlich oder lesen den Begriff nur in deutscher Literatur. Der Begriff „Protected Area“ ohne den Verweis auf die Größe sei sehr verbreitet und ausreichend. Ein Experte meint, dass in der deutschen Sprache tatsächlich eine gute Alternative fehlt. Ein Experte weist noch einmal darauf hin, dass der Begriff eher als Oberbegriff der „größten drei Schutzgebiete“ (Naturpark, Nationalpark und Biosphärenreservat) dient und er deshalb auch (zukünftig) gebraucht wird.

Kommt es nun zu Kommunikationsschwierigkeiten? Ja, das kann der Fall sein. Auf die Frage, welche anderen Konzepte oder Begriffe eine internationale Diskussion über Governance und Schutzgebiete erschweren, wurden vor allem abstrakte Begriffe aus der Regionalentwicklungstheorie genannt – wie Partizipation, Bottom-up, Nachhaltigkeit, Nachhaltige Entwicklung und Community. Aber auch die einzelnen Schutzgebietskategorien selbst sind in Bezug auf ihre Vielfalt, ihre präzise Definition und ihre Einordnung problematisch. Allein in Deutschland gibt es elf verschiedene Schutzgebietstypen, in Österreich zwölf (Mose 2007). Des Weiteren macht der historische Hintergrund (und nicht unbedingt die Begriffe) die Diskussion schwierig.

Die Situation ist ambivalent: Auf der einen Seite ist die englische Sprache aus der Wissenschaft nicht mehr wegzudenken (Ammon 1998, Mocikat 2008), auf der anderen Seite sind einige deutschsprachige Wissenschaftler oder auch Praktiker bis heute nicht dazu bereit, z.B. an Befragungen in englischer Sprache teilzunehmen. Seit einiger Zeit warnen sogar einige deutsche Wissenschaftler, dass die deutsche Fachsprache verkümmert. So haben sich 2007 einige Wissenschaftler im Arbeitskreises Deutsch als Wissenschaftssprache zusammengeschlossen. Denn Deutsch, Englisch und Französisch waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts die drei am weitesten verbreiteten internationalen Wissenschaftssprachen und alle etwa gleich bedeutend. Heute hat sich eindeutig Englisch als Wissenschaftssprache (insbesondere in den Naturwissenschaften) durchgesetzt. Die Verbreitung von Deutsch, aber auch von Französisch ist stark zurückgegangen (Ammon 2008). Gründe für die steigende Entwicklung des Englischen können zum einen die Zunahme der Englischkenntnisse in den nicht englischsprachigen Teilen der Welt und zum anderen die Abnahme des Fremdsprachenlernens in der angelsächsischen Welt sein (Eichinger 2005).

Aber nicht nur innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion führen Begrifflichkeiten zu Schwierigkeiten. Die Begriffe „Park“ und „Reservat“ sind auch in der Praxis problematisch. Insbesondere Biosphärenreservate haben oft mit einem schlechten Image aufgrund der Bezeichnung zu kämpfen. Häufig treten Assoziationen mit einem abgeschlossenen Reservat bei der Bevölkerung auf und führen zu Vorbehalten oder sogar Ablehnung gegenüber dem Schutzgebiet. Dabei ist der Begriff offenkundig eine falsche Übersetzung des englischsprachigen „Biosphere Reserve“, das eher als „Biosphären-Ressource“ zu übersetzen wäre. Entsprechend werden seit einiger Zeit Biosphärenreservate in Österreich als Biosphärenpark und in der Schweiz als Biosphäre bezeichnet. In einigen deutschen Bundesländern wird der Begriff Biosphärengebiet favorisiert. Auch Naturparke werden mit einem problematischen Image konfrontiert. Oft werden sie mit Parkanlagen, Grünanlagen oder Tierparks assoziiert.

Zwar gibt es Experten, die die internationale Diskussion für nicht weniger verwirrend als die deutsche halten, dennoch wären einheitliche Definitionen und der kongruente Gebrauch von bestimmten Begriffen und die Anpassung an die europäische Forschungswelt wünschenswert.

Also, schließen die deutschsprachigen Wissenschaftler sich nun aus aktuellen Forschungsdebatten aus oder nicht? Auf jeden Fall sollten wir nicht selbstverständlich mit Begriffen umgehen und davon ausgehen, dass uns jeder versteht. Die europäische Forschungslandschaft ist sehr viel vielfältiger, als wir manchmal denken. Wir sollten und müssen sie deshalb im Auge behalten. Und was ist nun mit dem Begriff „Großschutzgebiet“? Sollen wir ihn verwenden oder nicht? Wenn wir wollen, dass jeder uns versteht, verzichten wir auf den Begriff und sprechen von den drei Schutzgebieten selbst. Der Begriff ist in der internationalen Debatte einfach problematisch und nicht gebräuchlich, das hat sich jetzt herausgestellt. Dies können wir aufgrund unserer eigenen wissenschaftlichen Arbeit sowohl aus internationaler als auch aus deutscher Sicht beurteilen.

Literatur

Ammon, U. (1998): Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache? Englisch auch für die Lehre an den deutschsprachigen Hochschulen. de Gruyter, Berlin.

– (2008): Deutsch in der internationalen Wissenschaftskommunikation. In: Goethe-Institut e.V., München, Hrsg., Die Macht der Sprache, 47-60, http://www.goethe.de/lhr/pro/mac/Online-Publikation.pdf.

Eichinger, L.M. (2005): Das Deutsche – eine europäische Sprache am Beginn des 21. Jahrhunderts. Sprachreport 2/2005, Mannheim, 2-8.

Mehnen, N., Mose, I., Strijker, D. (2009): Governance in protected areas – Current state of research and existing research gaps. In: Re-Inventing the Rural: Between the Social and the Natural. Book of Abstracts XXIII ESRS Congress 17-21. August 2009, Vaasa, Finland, 141.

Mocikat, R. (2008): Die Rolle der Sprache in den Naturwissenschaften. Scottish Languages Review (17). Previously available online at http://www.scilt.stir.ac.uk/slr.

Mose, I. (ed., 2007): Protected areas and regional development in Europe: towards a new model for the 21st century. Series Ashgate studies in environmental policy and practice, Ashgate.

–, Weixlbaumer, N. (2006): Gebietsschutz in Europa: Vom Schützen zum Nützen – ein Paradigmenwechsel. RAUM 63, 20-23.

Anschrift der Verfasser(in): Dipl.-Umweltwiss. Nora Mehnen & Prof. Dr. Dirk Strijker, Universität Groningen, Fakultät für Raumwissenschaften, Abteilung Kulturgeographie, PO Box 800, NL-9700 AV Groningen, Niederlande, E-Mail N.Mehnen@rug.nl; Prof. Dr. Ingo Mose, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU), Arbeitsgruppe Regionalwissenschaften, Ammerländer Heerstraße 114-118, D-26129 Oldenburg, E-Mail Ingo.Mose@uni-oldenburg.de.

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