Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Tagungsbericht

Neuer EU-Rettungsplan für die biologische Vielfalt

Da die Europäische Union mit dem von den Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel 2001 in Göteborg beschlossenen Ziel, den weiteren Verlust an biologischer Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen, gescheitert ist, hat bereits im April 2009 („Botschaft von Athen“) eine Debatte über die zukünftige Biodiversitätspolitik der EU, ein neues Biodiversitätsziel sowie einen Aktionsplan zu dessen Erreichung (Biodiversity Action Plan, BAP) begonnen.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Artikel teilen:

Nach Aufforderung durch den Rat der Umweltminister am 22. Dezember 2009 präsentierte die Europäische Kommission am 19. Januar 2010 eine Mitteilung mit einer Vision bis zum Jahr 2050 und vier Optionen für ein mögliches neues Biodiversitätsziel bis zum Jahr 2020 (KOM (2010) 4 endgültig). Von den seitens der Kommission vorgestellten vier möglichen Optionen für ein neues 2020-Ziel wurde auf einer von der spanischen EU-Ratspräsidentschaft und der Kommission organisierten Tagung am 26./27. Januar 2010 in Madrid die vierte, ambitionierteste Version für den weiteren Prozess empfohlen. Dieses ambitionierte 2020-Ziel wurde vom Rat der Umweltminister am 15. März 2010 (7536/10) beschlossen, ebenso vom Europäischen Rat der Regierungschefs Ende März (EUCO 7/10). Darauf aufbauend beginnen nun in der Europäischen Kommission, in den Mitgliedstaaten bzw. dem Ministerrat und im Europäischen Parlament die Diskussionen über einen neuen BAP, der spätestens im Frühjahr 2011 von Ministerrat und Parlament verabschiedet werden soll.

Aus diesem Anlass hatten Jo Leinen, Mitglied des Europäischen Parlamentes (EP) und Vorsitzender des Umweltausschusses im EP, und der NABU anlässlich des Internationalen Jahres der biologischen Vielfalt (IYB) am 12. Mai 2010 zu einer Diskussionsveranstaltung in das Europäische Parlament in Brüssel eingeladen, um dort die Vorstellungen von BirdLife und NABU zu einem neuen BAP darzulegen und der Europäischen Kommission ein Forum zur ersten Vorstellung ihrer Pläne zu bieten. Zudem wurde der aktuelle Stand der TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity) vorgestellt, die – ganz im Stile des „Stern-Report“ (2006) zu den ökonomischen Folgen des Klimawandels – auf die gravierenden ökonomischen Effekte des Biodiversitätsverlustes (Lebensräume, Arten und ihre genetische Vielfalt) hinweisen soll. Die Wahl des richtigen Zeitpunktes, parallel zu den in Nairobi auf internationaler Ebene beginnenden Diskussionen über die Verankerung eines neuen weltweites Biodiversitätszieles im „strategischen Plan“ der CBD, sowie die Wahl der Veranstaltungsform einer „lunchtime debate“ im Europäischen Parlament während einer Fraktionswoche des EP in Brüssel bot die Möglichkeit, Europaabgeordnete aller Fraktionen und ihre Assistenten einzuladen. Das Konzept hat sich als erfolgreich erwiesen; die Veranstaltung wurde von mehr als 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht. Darunter Europaabgeordnete und Assistenten fast aller Fraktionen, Vertreter der Mitgliedstaaten, Mitarbeiter der Brüsseler Vertretungen der Bundesländer, Vertreter der Europäischen Kommission und gesellschaftlicher Gruppen wie Industrie-, Bauern- und Jagdverbände.

Jo Leinen betonte in seiner Begrüßungsrede, dass die Klima- und Biodiversitätspolitik die beiden zentralen Bereiche der europäischen Umweltpo­litik seien. Er wies auf die ­erschreckenden Ergebnisse einer Studie (Global Biodi­versity Outlook 3, GBO-3) hin, die am 10. Mai zu Beginn einer Tagung (SBSTTA 14) in ­Nairobi zur Vorbereitung der 10. Vertragsstaatenkonferenz (COP10) der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) im Oktober in Japan vorgestellt worden war. Danach hat die bisherige, überwiegend reparierende „end of the pipe“-Biodiversitätspolitik weitgehend versagt, da die Hauptverursacher des Artensterbens (drivers of biodiversity loss) wie Landwirtschaft, Waldrodung, Fischerei und Infrastrukturentwicklung / Flächenverbrauch kaum eingeschränkt wurden. Er wies in diesem Zusammenhang auch auf frühere Empfehlungen des EP zum Artenschutz, etwa zum Schutz von Haien, Elefanten und Blauflossen-Thunfisch, hin, die die EU auf der letzten internationalen Artenschutzkonferenz (CITES COP15) nicht habe durchsetzen können, da sich die Mitgliedstaaten der EU nicht einig waren. Aktuelle Themen des EP seien daher (1) der Kampf gegen die illegale Abholzung der Tropenwälder sowie Regelungen zur nachhaltigeren Nutzung der europäischen Wälder, (2) Kriterien zur nachhaltigen Produktion und Nutzung von ­Agrotreibstoffen und (3) die Erarbeitung eines ambitionierten BAP, mit dem eine Abordnung des EP auf der CBD COP10 in Japan zeigen kann, dass Europa den Schutz der biologischen Vielfalt nicht nur von dem armen Ländern des Südens fordert, sondern auch selbst praktiziert.

Jörg-Andreas Krüger, Leiter des Fachbereiches Naturschutz und Umweltpolitik in der NABU-Bundesgeschäftsstelle Berlin, wies ebenfalls auf die dramatischen Ergebnisse des GBO-3 und einer bereits am 29. April in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ erschienenen Arbeit von BirdLife International und Mitarbeitern von über 40 internationalen Organisationen, Universitäten und Instituten hin, wonach sich die Aussterberate in den letzten zehn Jahren sogar erhöht habe, sowohl weltweit als auch in der Europäischen Union. Anhand einer kürzlich von der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) veröffentlichten Studie zum Bewusstsein von Industrievertretern über die Folgen des Verlustes der biologischen Vielfalt wies er auf den großen Nachholbedarf insbesondere in den reichen Staaten des Westens: Die Studie hatte ergeben, dass von den rund 1200 befragten Vorstandsvorsitzenden (CEOs) nur 14 % der CEO in Nordamerika und 18 % der CEO in Westeuropa diese als wichtiges Problem für ihr Unternehmen identifizierten, dagegen aber schon 34 % der CEOs in Asien und sogar 53 % in Südamerika.

Patrick ten Brink, Leiter des Brüsseler Büros des Instituts für Europäische Umweltpolitik (IEUP), der gemeinsam mit Pavan Sukhdev und anderen Wissenschaftlern seit 2007 an der Studie zu den ökonomischen Auswirkungen des Verlustes der biologischen Vielfalt (TEEB) arbeitet, fasste zunächst die bisherigen Ergebnisse dieser Studie zusammen. Er unterstrich, wie wichtig im neuen BAP eine Inwertsetzung von Ökosystemen und ihren Dienstleistungen für den Menschen sei, etwa die CO2-Bindung durch Wälder, Moore, Feuchtgebiete und intakte Böden. Die ökonomischen Verluste durch die Zerstörung der biologischen Vielfalt werden aktuell auf bis zu 50 Milliarden Euro/Jahr geschätzt und können sich bis zum Jahr 2050 auf bis zu 14 Billionen Euro (= 7 % des weltweiten Bruttosozialprodukts!) erhöhen, wenn der Verlust an biologischer Vielfalt nicht gestoppt wird.

Claus Mayr stellte in seiner Präsentation zunächst das BirdLife-Netzwerk und den NABU als dessen deutschen Partner vor. Ausgehend von den Erfahrungen mit dem alten BAP fordern BirdLife und NABU vor allem eine zeitnahe Erstellung und Verabschiedung des neuen BAP. Mayr wies darauf hin, dass der alte BAP erst 2006, also fünf Jahre nach Verabschiedung des 2010-Zieles, verabschiedet wurde, und dass das Europäische Parlament sich erst 2007 damit befasste. Zudem hätten dem BAP verlässliche Ausgangsdaten (baselines) sowie konkrete Zwischenziele und Zeitpläne zu deren Erreichung gefehlt. Die Integration des Biodiversitätsschutzes in andere Politikbereiche wie Agrar- und Fischereipolitik sei, obwohl dieses Ziel bereits seit mehr als 20 Jahren im 5. und 6. Umweltaktionsplan (UAP) beschlossen sei, nicht erreicht worden. Er forderte die Europaabgeordneten daher auf, von ihren mit dem neuen EU-Vertrag gewonnenen Mitentscheidungsrechten in der Agrar-, Fischerei- und Finanzpolitik Gebrauch zu machen.

Natalie Pauwels, Mitarbeiterin der für die Erarbeitung des neuen BAP zuständigen Abteilung der Generaldirektion Umwelt, stellte noch einmal die Gründe für das Scheitern des 2010-Zieles vor. Sie betonte aber auch, dass die EU insbesondere durch die Naturschutzrichtlinien (Vogelschutz- und FFH-Richtlinie) und die Wasserrahmenrichtlinie zumindest in den Natura-2000-Schutzgebieten, die heute 17 % der Fläche der Mitgliedstaaten ausmachen, viel erreicht habe. Wie hier habe der gesamte BAP darunter gelitten, dass für die Umsetzung des beschlossenen Rechtes vor allem die Mitgliedstaaten verantwortlich seien. Zudem müssten bei einem neuen BAP die anderen Kommissare und Generaldirektionen, insbesondere Landwirtschaft, Fischerei sowie Kohäsions- und Regionalpolitik, stärker integriert und in die Pflicht zur Umsetzung genommen werden. Die Analysen zeigten zudem, dass neben der Stärkung und konsequenteren Umsetzung bestehender Rechtsinstrumente auch einige inhaltliche Lücken geschlossen werden müssten, etwa bezüglich von Regelungen zum Schutz von Böden und Maßnahmen gegen invasive Arten (Invasive Alien Species, IAS). Sie bestätigte die Kritik des NABU an fehlenden Ausgangsdaten und Unterzielen und wies darauf hin, dass die Europäische Umweltagentur (EEA) in Kopenhagen derzeit entsprechende Studien für die Kommission vorbereite. Diese wurden im Juni im Rahmen der „Green Week“ erstmals vorgestellt und mögliche Inhalte des neuen BAP mit allen gesellschaftlichen Gruppen diskutiert.

Claus Mayr, BirdLife, Brüssel

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren