Honorar-Kalkulation für die Biotopkartierung
Die Erstellung der Biotopkataster auch im Rahmen von EU-Monitoring ist Pflichtaufgabe der Bundesländer. Sie beauftragen damit freiberuflich tätige Biologen und Landschaftsökolog(inn)en. Beim Biotopkataster Rheinland-Pfalz kam es in den letzten Jahren durch widerrechtliche Ausschreibungen nach VOL zu einem Preis-Dumping.
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Das Umweltministerium Rheinland-Pfalz (MUFV) akzeptierte Flächensätze von 5 bis 7 € pro Hektar „Suchraum“. Suchräume sind die definierten Landschaftsflächen, wo schutzwürdige Biotope und Lebensraumtypen nach EU- und Landesrecht gesucht werden, auf der Karte genau abgegrenzt und in Erfassungslisten nach Pflanzengesellschaften und Arten beschrieben werden sollen.
Das MUFV schrieb mir als Antwort auf meinen offenen Brief an Umweltministerin Margit Conrad, dass sich bei Biotopkartierung 40 €/h im Durchschnitt erzielen lassen (Brief vom 22.03.2010). Dies sei ein auskömmliches Honorar. Dem ist ausdrücklich zu widersprechen, denn erstens lassen sich 40 € pro Stunde im Mittel nicht erzielen und zweitens sind 40 € pro Stunde nicht auskömmlich.
Nach den Eckpunkten Honorare, die im April 2010 vom Vorstand des Bundesverbandes Beruflicher Naturschutz (BBN) beschlossen wurden, lauten die Stundensatzempfehlungen des BBN 100/70-90/50 (Hager 2010). Im Mittel müsste danach der Stundensatz für Biotopkartierung 80 € netto ohne Mehrwertsteuer und ohne Nebenkosten betragen. Aber beim Biotopkataster verbergen sich im Stundensatz erhebliche Nebenkosten für Fahrten, Unterkunft, Versicherungen, Software-Lizenz, PC etc.!
Der Arbeitsaufwand im Gelände ist je nach Suchraum sehr unterschiedlich, weil abhängig von Topographie, Landschaftsstruktur und Zergliederung der Objekte. Monotone, flache Wälder lassen sich schneller kartieren als zergliederte, halboffene, bergige Suchräume mit guter Biotopausstattung.
Der Arbeitsaufwand im Büro umfasst Vorbereitung, Digitalisierung der Daten, Auswertung und Überprüfung. Dazu kommen Kartiererschulungen, Besprechungen und Fahrzeit zum Gebiet. Diejenigen, die Gelände-Computer benutzen, benötigen im Gelände etwas mehr Zeit, dafür weniger im Büro. Im Folgenden geht es um Mittelwerte bei der Zeitkalkulation. Den Zeitaufwand Gelände zu Büro veranschlagt die vom MUFV als Prüfbüro beauftragte Firma Lökplan mit 1 : 0,8.
Um meine Behauptung, dass die Biotopkartierung in Rheinland-Pfalz nicht auskömmlich ist, zu überprüfen, habe ich eine Umfrage bei Kolleg(inn)en durchgeführt (vgl. Danksagung). Ich habe von drei Büros und sieben Biotopkartierer(inne)n Rückmeldungen bekommen.
Dr. Annette Schäfer und Dr. Hildegard Wey der Landschaftsökologischen Arbeitsgemeinschaft Trier (LAT) haben die Kartierungen von neun verschiedenen Personen von 2008 und 2009 ausgewertet. Dabei ermittelten sie im Mittel 47 ha Suchraum-Leistung im Gelände pro Tag für den Kreis Kusel und 62 ha für den Kreis Trier-Saarburg. Über ihren persönlichen realen Arbeitsaufwand in 2008 und 2009 in vier Suchräumen haben sie genau Buch geführt und mir die Ergebnisse detailliert zur Verfügung gestellt. Die Ergebnisse sind in Tab. 1 zusammengefasst:
Die Kolleg(inn)en von LAT errechneten inklusive Nebenarbeiten: „In der Kulisse mit unserer höchsten Flächenleistung müsste der ha-Satz 15,65 € betragen, um auf einen Stundensatz von 40 € zu kommen; in der Kulisse mit der geringsten Flächenleistung wären es 36,60 €/ha.“ Die vom MUFV als auskömmlich akzeptierten Flächensätze betragen aber 5 bis 7 €/ha. Aus den Daten der anderen Kartier-Kollegen geht hervor, dass bei den vom Ministerium akzeptierten Hektarsätzen im Mittel keine 40 € pro Stunde erzielt werden, sondern meist höchstens die Hälfte. Von 20 € Stundensatz bleiben den Biotopkartierern nach Abzug von Steuern, Versicherungen und Nebenkosten vermutlich unter 10 € zum Leben. Kein Wunder, dass die meisten irgendwie anders abgesichert sind – über zusätzliche auskömmliche Aufträge und/oder Ehepartner.
Die vom MUFV beauftragte Firma LökPlan rechnete mir vor, dass nach einer Stichprobe im Mittel 108 ha am Tag kartiert worden seien und das Verhältnis Gelände zu Restarbeit 1 : 0,8 betrage. Daraus ergebe sich „ein angemessener Verdienst“. Das LANUV in NRW rechne mit einem Verhältnis Gelände zu Digitalisierung 1 : 0,5. Nach meiner Umfrage Biotopkartierung bei den Bundesländern von 2008 reichen die internen Honorarkalkulationen von 35 € (Mischkalkulation Brandenburg) bis Mindestsatz HOAI (Bremen), wobei nur Brandenburg überhaupt eine Zahl nannte. Insofern ist Rheinland-Pfalz mit der Preisgabe seiner 40-€-Zahl im Jahr 2010 zu loben. Dazu meint allerdings Peter Kalte von der Gütestelle Honorar- und Vergaberecht (GHV): „Es ist allein unglaublich, mit welchen Stundensatzvorstellungen ein Ministerium aufwartet.“
Zitate von fünf Kolleg(inn)en zu meiner Umfrage Kalkulation Biotopkartierung:
A: „Ich beteilige mich nicht mehr an diesen Ausschreibungen, wo von Anfang an klar ist, dass man für vernünftige Stundensätze den Zuschlag nicht erhält. Sollen sich die Kollegen die Hacken wund laufen.“
B: „Ein Stundensatz von über 20 € ist bei den heutigen Flächensätzen im Mittelgebirgsraum kaum zu erreichen. Daher hätten eigentlich alle Angebote, die dieses Jahr den Zuschlag erhalten haben, als Dumping abgelehnt werden müssen. Wer in Rheinland-Pfalz kartiert, muss entweder noch andere Aufträge haben, mit denen er sein Geld verdient, oder einen Partner, der ihn ‚durchfüttert‘, ansonsten bewegt er sich am Existenzminimum.“
C: „Die Hochrechnungen zu Tagesleistungen von Lökplan finde ich sehr fragwürdig, da z.B. ich persönlich oft 12 – 14 Stunden am Tag im Gelände arbeite. Am Computer schaffe ich dagegen unter Qualen nur 7, maximal 8 Stunden am Tag (und mein Physiotherapeut schüttelt selbst darüber den Kopf. …)“.
D+E: „Die Tagesleistung mit 50 ha ist realistisch bei großen Biotopflächen. Wenn die Landschaft klein gekammert und die Nutzung fein parzelliert ist, sind deutlich weniger ha zu schaffen. Wenn man den Arbeitsauftrag ernst nimmt. Wenn man aus dem fahrenden Auto kartiert, schafft man mehr als 100 ha; wenn man am Bildschirm Luftbildauswertung betreibt, sind sicherlich mindestens 250 ha zu schaffen.“
D: „Gerade kam die Handwerkerrechnung, Klempner: Der Monteur ist mit netto 39 € die Stunde berechnet, der Helfer 19,80 €. Um die dreiviertel Stunde Arbeit der beiden plus km-Pauschale (netto 3,15 €) zu bezahlen, muss ich beim Biotopkataster rund 4 Stunden arbeiten. Bürokosten, Steuern und Versicherungen nicht mitgerechnet. Aber wer seinen/ihren Beruf liebt … Meine (promovierte) Kollegin meinte, sie sollte vielleicht auf Klempnergehilfin umschulen.“
E: „Wir kriegen ja für unseren Wanderurlaub sogar noch eine Aufwandsentschädigung vom Land Rheinland-Pfalz!“
Mein Fazit: Rheinland-Pfalz ist nur ein Beispiel. Immerhin war das Umweltministerium so freimütig, eine Stundensatz-Zahl zu nennen. Die Umweltministerien des Bundes und vieler Bundesländer, z.B. Bayern, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und die Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA), sorgen ebenfalls nicht für rechtmäßige Vergabe und faire Honorare bei Biotopkartierung und EU-Monitoring. Stattdessen missachten sie das Vergaberecht und nehmen m.E. ihre Verantwortung für eine qualifizierte Erfassung und Bewertung der Biologischen Vielfalt nicht ernst genug.
DankFolgende Kolleg(inn)en und Büros, die in Rheinland-Pfalz mit Biotopkartierungen beauftragt wurden, haben mir Zeitkalkulationen und Kommentare zugeschickt: Besonderer Dank geht an Dr. Annette Schäfer + Dr. Hildegard Wey/Landschaftsökologische AG Trier, die zahlreiche Berechnungen und Kommentare abgaben. Weitere Rückmeldung und Zahlen erhielt ich von: Udo Christiansen; Klaus-Jürgen Conze/LökPlan; Dr. Christoph Froehlich + Undine Hauptmann/Arge Biotopkartierung; Helmut Dahmen + Maria Luise Regh/Gesellschaft für Umweltplanung und wissenschaftliche Beratung Bonn; Holger Miedreich. Außerdem danke ich Andrea Hager + Rainer Gottfriedsen (BBN-AK Freie Berufe) und Peter Kalte (Gütestelle Honorar- und Vergaberecht) für fachliche Hinweise.
Literatur
Froehlich-Schmitt, B. (2008): Vergabepraxis von Biotopkartierungen – eine Umfrage bei Bund und Ländern. Naturschutz und Landschaftsplanung 40 (12), 415-417.
Hager, A. (2010): BBN-Eckpunkte Honorare. http://www.bbn-online.de , Freie Berufe.
Schäfer, A., Wey, H. (2010): Berechnung des Arbeitsaufwands für die Mitarbeit beim Biotopkataster Rheinland-Pfalz 2008 und 2009. E-Mail mit Tabelle + Erläuterungen vom 15.04.2010.
Anschrift der Verfasserin: Barbara Froehlich-Schmitt, Auf der Heide 27, D-66386 St. Ingbert, E-Mail info@natur-text.de, Internet http://www.natur-text.de.
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