Anfängerglück
Eine meiner besten Freundinnen wohnt in der Oberpfalz. Sie hat mit Naturschutz gar nichts am Hut und auch sonst keine wirkliche Ahnung von dem, was ich tue oder vom tieferen Sinn, der hinter meiner Arbeit steckt. Wie es der Zufall will, führt mich ein Bahnprojekt eines Tages an eine Eisenbahnbrücke ganz in ihrer Nähe. Langfristig muss diese Brücke ersetzt werden. Ich soll im Vorfeld Zauneidechsen kartieren und habe dazu mehrere Vor-Ort-Termine.
von fs erschienen am 19.03.2024Zunächst fahre ich zu Simone, meiner Freundin, und besuche sie daheim in ihrem chaotischen Haushalt. Simone und ich sind zwei komplett unterschiedliche Menschen, aber Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an. Während bei mir alles strukturiert und ordentlich sein muss, hat sie am Morgen meines Besuches wieder einmal Schwierigkeiten, eine saubere Tasse für mich aufzutreiben.
Als dieses Problem gelöst ist, erklärt sie mir freudestrahlend: „Heute komm ich mit, ich such mit Eidechsen!“ Dabei strahlt sie über das ganze Gesicht. Meine Freude hält sich in Grenzen. Simone ist nicht dafür bekannt, besonders achtsam und ruhig zu sein. Wie soll ich mit diesem zwar herzerwärmenden, aber lauten Persönchen auch nur ansatzweise eine Eidechse zu Gesicht bekommen?
Letztendlich lasse ich mich breitschlagen („wir sehen uns doch eh viel zu selten – den Haushalt kann ich auch später machen“). Es ist ja auch schön, dass sie sich für mich und meinen Beruf interessiert. Außerdem ist das Gelände flach, überschaubar und direkt neben dem Gleis liegt parallel ein Wiesenweg – gefährlich sollte es also nicht sein.
Bevor wir in mein Auto steigen, um zum Gleis zu fahren, fällt mein Blick auf ihre Schuhe: „Das ist aber jetzt nicht dein Ernst, mit den Flipflops am Gleis entlangzulaufen?“ Sie schaut mich erstaunt an: „Wieso? Ich hab die im Sommer immer an! Ich laufe in denen besser als in jedem anderen Schuh, wirst schon sehen!“ Als wir auch diese Diskussion hinter uns gebracht haben, schärfe ich ihr ein, schräg hinter mir auf dem Wiesenweg zu laufen und nicht so viel herumzuzappeln.
Wetter passt, Uhrzeit passt, Jahreszeit passt. Simone ist brav und weit genug weg. Aber irgendwas anderes passt nicht. Kein einziges Tier ist zu sehen.
Nach einer dreiviertel Stunde ebenso konzentriertem wie erfolglosem Eidechsensuchen bin ich frustriert. Wir befinden uns in einem Reptilien-Eldorado, schöner kann es eigentlich nicht sein, aber ich kann kein einziges Individuum entdecken. Als ich Simone schließlich von meinem Kummer erzähle, schaut sie mich aufgeregt an: „Dann darf ich jetzt mal vorauslaufen, gucken und suchen, bitte!“ Na gut, jetzt ist es eh wurscht, vielleicht habe ich am nächsten Termin – den ich sicher wieder alleine wahrnehmen werde – mehr Glück. Simone läuft also ziemlich trittsicher, wie ich zugeben muss den gleichen Weg, den ich zuvor genommen habe, zurück.
Plötzlich fummelt sie an einer hingeworfenen McDonalds-Tüte, die in den Steinen liegt. „Was fummelst du denn jetzt in dem Müll!“, rufe ich ihr zu, als auf einmal unter der Tüte eine Eidechse erscheint und zwischen ihren Füßen durchwuselt. Strahlend sieht mich Simone an: „Schau, wie gut ich das gemacht habe! Die Oberpfälzer Eidechsen lassen sich halt nur von uns lauten Oberpfälzer finden!“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen, auch wenn ich mir im Stillen denke: Anfängerglück!
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