Amphibien-Jungtiermortalität an permanenten Schutzanlagen
In Naturschutz und Landschaftsplanung 1/21 haben wir Ihnen den Diskussionsbeitrag von Ulrike Geise et al. in gekürzter Fassung zur Verfügung gestellt. Hier finden Sie den ungekürzten Beitrag sowie die Literaturangaben der Autoren.
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Technische Amphibienschutzanlagen werden seit den 1980iger Jahren an vielen Straßenabschnitten eingebaut, an denen Individuen starke Wanderbewegungen beobachtet wurden. Besonders bei neu gebauten Anlagen sind Amphibiensonderuntersuchungen heute meist Bestandteil von Genehmigungsverfahren. In diesem Zusammenhang wird der Erfolg der Anlagen z.B. in Bayern nach 1-3 Jahren geprüft (s. auch Geise et al. 2008). Der langfristige Erfolg, die Auswirkung der Anlage auf die Populationen über Jahrzehnte ist schwieriger zu erfassen, da sich die Erfassungskriterien im Lauf der Zeit meist ändern, und die Vergleichbarkeit beeinträchtigt ist. Dennoch geben Untersuchungen aus Bayern (Geise & Schlumprecht 2014) und der Schweiz (Schmidt et al. 2020 in prep, Brenneisen & Szallies 2017) deutliche Hinweise darauf, dass mobile und auch technische Schutzanlagen maßgeblich zum Schutz von Amphibienpopulationen beitragen können.
Alle Untersuchungen haben gemeinsam, dass sie sich auf die am leichtesten zu erfassenden und Individuen stärksten Arten konzentrieren, auf die Erdkröte und den Grasfrosch. An den meisten Amphibien-Querungsstellen sind statistische Auswertungen, wie sie für eine Beurteilung der Funktionsfähigkeit notwendig sind, nur bei Erdkröten möglich. Ein weiteres Defizit ist, dass sich Untersuchungen fast ausschließlich auf die Wanderbewegungen der adulten Tiere beziehen, obwohl Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (Geise et al. 2008) forderten, dass die abwandernden Jungtiere, die Hüpferlinge, ebenso beachtet werden müssen. Hierzu fehlen aber bisher methodische Lösungen. Wenn überhaupt, werden die Wanderungen qualitativ beschrieben.
Vor diesem Hintergrund waren Beobachtungen an einer neu und nach dem aktuellen, wissenschaftlichen und technischen Kenntnisstand gebauten Schutzanlage bei Wessling (Bayern) alarmierend, bei der Amphibien in größerer Zahl an der Schutzanlage starben. Darunter waren vor allem auch Hüpferlinge des Springfroschs, die hier in großer Zahl die Straße unterqueren sollten (NuL 2018). Zwischenzeitlich sind die Ursachen hierfür bekannt: Beim einer Baustoffprüfung durch die Technische Universität München an den verwendeten Amphibienschutzelementen gab es keine eindeutigen Hinweise oder Belege, dass diese ursächlich für das Verenden von Amphibien in den Tierdurchlässen und Festkleben dieser Arten verantwortlich waren. Ausschlaggebend war der Bezug zu anfänglich drastischen pH-Veränderung (pH-Werte >11) über das ansteigende Porenwasser und die baubedingte flächige Ausbreitung von abgelagerten Kalkstäuben in den ersten beiden Jahren in den Tierdurchlässen, am Leitsystem und im Umfeld der Anlage als weißgraue Verfärbung auf der Vegetation. Es wurden Maßnahmen, u.a. die Hydrophobisierung der Leitelemente, gefunden und ergriffen, die ein weiteres Sterben der Tiere an der Schutzanlage verhindern.
Dennoch blieb bei den involvierten Fachleuten die Frage, ob die sichernde Wirkung der technischen Schutzanlagen gerade bei Hüpferlingen und hier gerade bei seltenen Arten mit ggf. dünnerer Haut, bisher ausreichend beachtet worden ist. Wissenschaftlich fundierte Untersuchungen dazu sind aufwändig und Kosten trächtig. Daher wurde als erster Schritt im Jahr 2019 eine Fragebogenaktion gestartet, bei der die Betreuer und/oder Kenner von technischen Schutzanlagen gebeten wurden, noch einmal gezielt nachzusehen und ihre Erfahrungen zu melden. Der vierseitige Fragebogen umfasste eine Beschreibung der Schutzanlagenmaterialien, der beobachteten Tierarten und -altersgruppen (adult, juvenil), deren Verhalten und tote Tiere pro Erfassungstag sowohl auf der Seite der Laichgewässer als auch auf der Seite der Winterhabitate. Der Fragebogen wurde in Österreich, der Schweiz und in Deutschland über die zentralen Multiplikatoren (Info fauna - karch, Haus der Natur Salzburg, BUND, BUND Naturschutz in Bayern e.V., NABU), so breit es ging, gestreut.
Ergebnis Österreich
In Österreich wurden vor allem Anlagen in den Bundesländern Salzburg, Kärnten und Oberösterreich untersucht. Es handelte sich um Beton- und Metallanlagen von etablierten Herstellern von Amphibienschutzanlagen. Die Betonanlagen sind in der Regel in Waschbetonausgeführt, und stellen daher in Bezug auf die Fragestellung keine Gefahr dar (Kyek, 2016). An keiner der Anlagen wurden tote Tiere an der Schutzanlage gefunden.
Ergebnis Schweiz
Schweizweit wurden 16 permanente Schutzanlagen durch Freiwillige kontrolliert. An keiner Anlage bot sich ein vergleichbares Bild wie jenes an der Schutzanlage Wessling im Jahr 2017/18. An mindestens drei Standorten konnten generell keine oder fast keine Amphibien während der Zeit der Jungtierwanderung festgestellt werden. Allerdings muss angemerkt werden, dass die Leitwerke nur an zwei bis maximal fünf Begehungen kontrolliert wurden. In dieser Zeitspanne herrschte während mehreren Wochen sehr trockene Witterung. Die Vermutung liegt nahe, dass die Jungtiere nach dem Verlassen des Laichgewässers nicht sehr weit wanderten und je nach Entfernung zur Schutzanlage mit zeitlicher Verzögerung bei dieser eintrafen. Aus diesen Gründen konnte der Zeitpunkt der Jungtierwanderung nicht überall abgedeckt werden. Die Aussagen zur Häufigkeit der beobachteten toten Jungtiere sind deshalb relativ zu sehen.
An vier Standorten wurden vereinzelt bis mehrere dutzend tote Juvenile festgestellt, während an den restlichen 12 Standorten keine toten Jung- oder Adulttiere beobachtet wurden. Die Anzahl toter Jungtiere, bei welchen es sich hauptsächlich um die Erdkröte und um einige Grasfrösche handelte, dürfte im Vergleich zu den mehreren hundert und in einem Fall bis mehrere tausend wandernden Adulten nicht populationsrelevant sein. Die Standorte mit und ohne vertrocknete Jungtiere zeigten keine eindeutigen Unterschiede in Bezug auf die Materialbeschaffenheit, das Alter der Anlage, den Besonnungsgrad oder die Vegetationshöhe.
Die vier Schutzanlagen mit toten Juvenilen sind alle mit Durchlässen aus Beton ausgestattet. Gebaut wurden die Durchlässe in den Jahren 1992-1996 sowie eine Anlage im 2016. Drei Leitwerke bestehen ebenfalls aus Beton (davon zwei im 2018 erstellt, eines im 1995/96), eines besteht aus Metall (erstellt 1992).
Von den 12 Schutzanlagen, an welchen keine toten Juvenilen oder überhaupt keine Amphibien beobachtet wurden, sind ebenfalls acht Anlagen mit Durchlässen und Leitwerken aus Beton ausgestattet (Baujahre 1996 – 2015). Eine Anlage verfügt über ein ACO/ Polymerleitwerk (Baujahr ca. 2015), eine weitere über ein Stahlleitwerk (Baujahr 1995), und zwei Anlagen über ein Leitwerk aus Holz (Baujahre 2011 und 2015).
Jungtiere haben ein grösseres Risiko als Adulte um auszutrocknen. Aus unseren Resultaten können wir die Todesursache nicht eindeutig einordnen. Die hydrophoben Eigenschaften der Betonelemente können genauso wie die ausserordentlich heisse und trockene Witterung zum Austrocknen der Jungtiere beigetragen haben. Schützende Strukturen, wie eine nicht komplett gesäuberte Lauffläche, eine hohe Krautvegetation oder Sträucher, könnten zumindest vor zu starker Erwärmung und Austrocknung schützen.
Ergebnis Deutschland
Es haben sich 6 Gruppen/Betreuer zurückgemeldet. Neben den Beobachtungen von toten Amphibien im Leitsystem bei Wessling kamen zwei weitere Beobachtungen:
Metallschutzanlage in Bayern: "Bei heißem Wetter vertrocknen aber immer wieder Hüpferlinge an den Blechen, an deren waagrechten Unterteilen. Positiv dabei ist, dass die Bleche dort oft mit Laub und Erde 'verdreckt' sind"….."Den Großteil der Hüpferlinge haben wir dort, wo keine Leiteinrichtung steht, von der Strasse / Fußweg abgesammelt (mehrere Hunderttausend)."
Betonschutzanlage in Niedersachsen: "Im gesamten Bereich der Leitanlage gab es nur ganz vereinzelt Totfunde zu verzeichnen, so am 6.7. ein vertrockneter juveniler Kammmolch zwischen RT 8 und RT 9 und am 15.7. ein vertrockneter letztjähriger Grasfrosch bei RT 6." An dieser Schutzanlage werden mehr als 8000 Amphibien gezählt, darunter ca. 750 Kammmolche.
Diskussion und Ausblick
Die Rückmeldungen auf die sehr breit gestreute Umfrage waren spärlich. Wir gehen allerdings davon aus, dass das Thema "Sterbende Amphibien an Amphibienschutzanlagen" durch die Presseresonanz 2018 bezüglich der Vorkommen bei Wessling bei vielen Betreuern angekommen war. Dass diese den Fragebogen doch nicht beantwortet haben, unterstützt den Eindruck der Rückmeldungen: Es sterben immer wieder adulte und subadulte Amphibien an den Amphibienschutzanlagen. Aber es sind nur wenige Tiere. Die Schutzwirkung der Anlagen scheint das Sterberisiko bei weitem zu übertreffen.
Leider wurden aber auch bei dieser Fragebogenaktion keine artspezifischen Aussagen gemacht. Es bleibt damit das oben beschriebene Wissensdefizit: Wir wissen etwas zum Verhalten der erwachsenen Erdkröten und Grasfrösche und Weniges zu dem der juvenilen Erdkröten. Das Verhalten der anderen Arten, vor allem deren Hüpferlingen ist bisher nicht wissenschaftlich untersucht. Dadurch dass in Planungsverfahren inzwischen auch regelmäßig Amphibienuntersuchungen durchgeführt werden, sind aber inzwischen bundesweit mehrere Wanderstrecken bekannt, an denen fünfstellige Amphibienvorkommen gezählt werden und auch so viele Individuen von seltenen Arten, dass systematische Erfassungen und damit auch statistische Auswertungen möglich wären. Wünschenswert wäre ein bundeweites Forschungsprojekt, bei dem solche Anlagen nach einheitlichem Muster untersucht werden und bei denen auch die anwandernden Jungamphibien systematisch und artspezifisch erfasst werden. Es ist davon auszugehen, dass dies zu Anpassungen in den Vorgaben zum Bau von technischen Amphibienschutzanlagen führen würde, die den Schutz gerade der hoch bedrohten FFH-Arten deutlich verbessern und damit die Effizienz der eingesetzten monitären Mittel deutlich verbessern würde.
Unabhängig davon ist die Forderung, dass von Bauteilen dauerhafter Amphibienschutzanlagen keine wie immer geartete Gefahr für die Tiere ausgehen darf, zu bekräftigen, dies nicht zuletzt deshalb, da keine Verbotstatbestände ausgelost werden dürfen.
Dank
Herzlichen Dank gebührt den Freiwilligen in der Schweiz, welche eine oder mehrere Zugstellen auf tote Jungtiere kontrolliert haben: Pierre Bonnemain, Stephan Dissler, Andreas Engeler, Renata Fulcri, Heinz Grob, Toni Helbling, Willy Houriet, Urs Jost, Manuel Lingg, Jan Meyer, Irene Picozzi, Tiziano Maddalena, Edouard Roth, Laurent Schenker, Eric Wyss und Jean Zahnd. Herzlicher Dank gebührt auch den aufmerksamen Amphibienschützern in Österreich und Deutschland, die der Umfrage zugearbeitet haben.
Literatur
Geise U., H.-J. Zurmöhle, A. Borgula, A. Geiger, H.-J. Gruber, A. Krone, M. Kyek, H.Laufer, H. Lüneburg, R. Podloucky, N. Schneeweis, K. Smole-Wiener, S. Zumbach (2008): Akzeptanzkontrollen für stationäre Amphibien-Durchlassanlagen an Straßen. Naturschutz und Landschaftsplanung 40 (8) 248-256
Geise U., H. Schlumprecht (2014): Langzeituntersuchungen von Art- und Anzahlentwicklung an Amphibienwanderwegen in Bayern. Gutachten im Auftrag des BUND Naturschutz in Bayern e.V.
Kyek, M. (2016): Details zum Bau und zum Stand der Technik von Amphibienschutzanlagen. Mertensiella 24: 158 – 163.
Naturschutz und Landschaftsplanung (2018): Amphibienschutzanlagen als Todesfalle, Naturschutz und Landschaftsplanung 2018 (9)
Schmidt B.R., Brenneisen S., Zumbach S 2020 in Prep: Evidence-Based Amphibian Conservation: A Case Study on Toad Tunnels. Herpetologica, 76(2),
http://www.unine.ch/files/live/sites/karch/files/Doc_a_telecharger/Amphibienwanderung/Erfolgskontr_Amphibientunnel.pdf