Gesunde Energie tanken
Dieselmotoren sind in der Bau- und Gartenbaubranche genauso wie in der Kommunal- und Landtechnik noch lange unverzichtbar. Aber fossiler Dieselkraftstoff könnte ein Auslaufmodell werden. Denn seit diesem Frühjahr kann man an öffentlichen deutschen Tankstellen den synthetischen Dieselkraftstoff HVO beziehen. Mit HVO können Flottenbetreiber ihre dieselbetriebenen Maschinen und Fahrzeuge von jetzt auf gleich wesentlich ökologischer machen.
von Joachim Zeitner erschienen am 27.06.2024HVO-Dieselkraftstoff verspricht, den Umstieg großer Maschinen- und Fahrzeugflotten von „fossil“ auf „erneuerbar“ dramatisch zu beschleunigen. Denn seit diesem Frühjahr ist der freie Verkauf von synthetischem HVO-Dieselkraftstoff an öffentlichen deutschen Tankstellen zulässig. Hierfür hat der deutsche Bundesrat im April 2024 grünes Licht gegeben und der Änderung der 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung zugestimmt. Im Vergleich zu fossilem Diesel kann damit eine CO2-Einsparung bis 90 % erreicht werden.
In vielen anderen Ländern kann HVO-Diesel schon seit Jahren getankt werden. Eigentlich ist HVO-Diesel ohnehin nichts Neues, denn die Industrie beliefert auch hierzulande Kommunen und Unternehmen schon lange mit dem erneuerbaren Kraftstoff. Weitere Anbieter kommen hinzu – jüngst erweiterte etwa der Mineralölkonzern Shell sein Angebot für Geschäftskunden im Mobilitätssektor um HVO-Diesel. Damit haben auch deutsche Fahrzeug- und Maschinenbetreiber über öffentliche Tankstellen einen einfachen Zugang zum Öko-Kraftstoff. Das ist laut dem süddeutschen Unternehmen, großer Gesellschafter der Tankstellenkette Avia, ein weiterer wichtiger Meilenstein, der unmittelbar zur CO2-Reduzierung beiträgt.
Grundsätzlich kann HVO aus einer Vielzahl von Rohstoffen hergestellt werden – etwa native Pflanzenöle aus Raps oder Soja, aber auch minderwertige pflanzliche Reststoffe aus der Lebensmittelindustrie, gebrauchte Speiseöle oder tierische Altfette (zum Herstellungsverfahren siehe Kasten). In diesem Fall – und anders als Biodiesel – wirft der Kraftstoff dadurch auch nicht die bekannte und nahezu endlose Tank-oder-Teller-Debatte auf, also die Frage, ob landwirtschaftliche Produkte eher zur Energieerzeugung oder zur Ernährung dienen sollten. Und sein Marktpotenzial ist gewaltig: Beim finnischen Mineralölkonzern Neste schätzt man, dass bis zum Jahr 2040 genügend synthetische Dieselkraftstoffe erzeugt werden können, um den heutigen Energiebedarf des weltweiten Verkehrs zu 40 % zu decken.
Hinter diesem Kürzel verbirgt sich „Hydrotreted Vegetable Oil“, übersetzt „hydriertes“ oder „hydrobehandeltes Pflanzenöl“. Eine andere Bezeichnung ist „HEFA“ (hydroverbeitete Ester und Fettsäuren). In einem zweistufigen Herstellungsverfahren, der Hydrobehandlung, werden die Ausgangsstoffe bei hohen Temperaturen mit Wasserstoff gesättigt und später chemisch umgewandelt. Das Endprodukt dieses präzise kontrollierbaren Verfahrens ist ein HVO-Dieselkraftstoff mit einer ähnlichen chemischen Zusammensetzung wie fossiler Diesel. Anders als Biodiesel (FAME – Fettsäuremethylester), dessen Herstellung durch Veresterung keine gleichbleibende gewährt, kann er daher – sofern er die Anforderungen der EN 15940 erfüllt – in allen Dieselmotoren bis zu einer Konzentration von 100 % oder in beliebigem Mischungsverhältnis mit fossilem Diesel eingesetzt werden.
Bei den chemischen und physikalischen Eigenschaften schneidet HVO-Diesel besser ab als herkömmlicher Dieselkraftstoff. Er verbrennt sauberer und effizienter, daher werden nicht nur die CO2-Emissionen um bis zu 90 % gesenkt, sondern auch die Emissionen von Feinstaub und Stickoxid (NOx) sowie von Kohlenwasserstoffen (HO) und Kohlenmonoxid (CO). Zudem ist er geruchlos, kann nahezu beliebig lange und auch bei niedrigen Temperaturen gelagert werden.
Auch das weltweite Interesse der Betreiber von Kraft- und Nutzfahrzeugen an HVO wächst. Das wissen wiederum die Hersteller. Laut Neste haben führende Hersteller schwerer Nutzfahrzeuge wie DAF, Liebherr, Scania, Mercedes-Benz und Volvo bereits reines HVO gemäß DIN EN 15940 zur Verwendung in den Motoren ihrer Lkws freigegeben.

Maschinen- und Fahrzeugflotten
Die Hersteller von Bau- und Landmaschinen gehen in dieselbe Richtung. Beim deutschen Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sieht man darin sogar eine besonders vielversprechende Zukunftslösung. „Pkws, Lkws und mobile Maschinen können mit HVO 100 nahezu CO2-neutral betrieben werden“, betont Dr. Tobias Ehrhard, Geschäftsführer des Branchenverbandes VDMA Landtechnik: „Ein besserer und schnellerer Beitrag zum Klimaschutz ist kaum zu haben!“ Die Hersteller von Baumaschinen gehen ebenfalls nach vorn. Komatsu etwa konzentriert sich längst nicht nur auf Elektro, um von fossilen Kraftstoffen loszukommen, sondern optimiert den Dieselmotor und liefert Bagger sowie Radlader ab Werk mit HVO-Kraftstoff betankt aus. Der Hersteller JCB informiert seine Nutzer von Bau-, Land- und Industriemaschinen darüber, dass jede JCB-Maschine sicher HVO verträgt, sofern der Kraftstoff der Industrienorm EN 15940 entspricht. Durch den Kauf von HVO, das nach dem ISCC-Standard (International Sustainability & Carbon Certification Standard) zertifiziert ist, können Fahrzeug- und Maschinenbetreiber sicherstellen, HVO aus nachhaltigen Rohstoffen zu verwenden.
Auch Besitzer von Diesel-Pkws können HVO tanken, sofern die Hersteller dafür eine Freigabe dafür aussprechen. Die gibt es für viele Diesel-Modelle von Audi, BMW, Mercedes-Benz und anderen Marken. Erkennbar sind sie an der XTL-Plakette im Tankdeckel. Und europaweit gibt es auch schon mehrere Tausend Tankstellen, die HVO-Diesel anbieten. In Deutschland dagegen konnte man den Kraftstoff bisher noch nicht überall tanken, von bundesweit knapp 14.500 öffentlichen Tankstellen führten im Juni lediglich 150 den synthetischen Kraftstoff. Und anfangs war er noch rund 15 Cent pro Liter teurer als Fossildiesel – gewissermaßen ein Ökokraftstoff für Gutmenschen und Besserverdiener. Aber der Preisunterschied schrumpft – und das Netz der Tankstellen, die HVO anbieten, wird dichter. Das beobachtet ganz genau der Automobilclub Mobil in Deutschland e.V., der unter „HVO100 goes Germany“ eine bundesweite Kampagne zur Markteinführung des Ökodiesels fährt. Eine webbasierte Tankstellenkarte, die der Automobilclub im Rahmen dieser Kampagne eingerichtet hat, informiert ihre Nutzer über die aktuellen Standorte. Die Tankstellenkarte kann auch als HVO-Tank-App auf dem Smartphone genutzt werden, um Nutzern die Suche nach HVO-Tankstellen zu erleichtern. Die Daten werden regelmäßig und so genau wie möglich aktualisiert.
Zum offiziellen Startschuss besuchte Michael Theurer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr, die Oest Energies GmbH & Co. KG in Freudenstadt, einer der großen Gesellschafter der Avia Deutschland mit rund 100 Tankstellen im süddeutschen Raum. Im Gespräch mit Matthias Pape, Geschäftsführer bei Oest Energies und Saskia Weegels, Leiterin Geschäftsbereich Energiehandel, informierte sich Michael Theurer über die konkrete Einführung von HVO 100 an Deutschlands Tankstellen und tauschte sich mit den Experten aus der Praxis über die weitere Entwicklung und Potenziale des HVO Diesel-Kraftstoffes aus.
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