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Der Luchs in Deutschland

Überlebensfähige Populationen statt Isolation

Luchse für den Thüringer Wald: Werden in dem Mittelgebirge auch nur zwölf Individuen ausgewildert, könnten die bisher isolierten Populationen im Harz und im Bayerischen Wald bereits nach 25 Jahren miteinander verbunden sein. Mit 900 Tieren würden im Vergleich zur Nullvariante nach 50 Jahren etwa doppelt so viele Individuen in den Mittelgebirgsregionen leben – auch Hessisches Bergland, Rhön, Spessart, Odenwald, Frankenwald und Erzgebirge wären besiedelt. Damit wäre der Erhaltungszustand des Luchses in Deutschland erheblich verbessert und sein langfristiges Überleben gesichert. Dieses Ergebnis zeigt eine Modellierung verschiedener Szenarien, die wir in dieser Ausgabe vorstellen.

von Eckhard Jedicke erschienen am 18.09.2024
© privat
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Schlüsselart im Waldökosystem

Europas größte Raubkatze war in Deutschland seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestorben. Warum macht es Sinn, die seit den 1970er-Jahren im Bayerischen Wald und seit 2000 im Harz erfolgte Wiederansiedlung noch einmal zu fördern? Juristisch argumentiert: Der Luchs steht unter dem Schutz des Washingtoner Artenschutzabkommens (Anhang II), des Bundesnaturschutzgesetzes (streng geschützt) und der FFH-Richtlinie (Anhang II und IV). Der Erhaltungszustand in Deutschland wird als „ungünstig-schlecht“ bewertet, so dass die Europäische Kommission eine Verbesserung fordert.

All diese Einstufungen haben fachliche Begründungen: Als Top-Prädator an der Spitze der Nahrungskette kann er die Population von Rehen signifikant beeinflussen. Im Böhmerwald erbeuteten Luchse fast die Hälfte besenderter Rehe (Naturschutz und Landschaftsplanung 50 (4), 2018). Damit können sie die Verjüngungsdynamik in Wäldern beeinflussen, denn eine hohe Populationsdichte des Rehs verhindert die Etablierung vieler Baumsämlinge, besonders der Eichen. Ein Luchs erbeutet nach genannter Quelle im Schnitt 54 Rehe im Jahr. Zurückbleibendes Aas bildet eine lebensnotwendige Ressource für die hochspezialisierte und überwiegend gefährdete Nekrofauna. Über seine eigene Existenz hinaus fördert der Luchs also maßgeblich die Biodiversität. Und er ist weit weniger ausbreitungsfähig als etwa der Wolf.

Metapolulationen betrachten

Das Beispiel des Luchses verdeutlicht einen Aspekt, der in der Naturschutzpraxis noch weit unterbelichtet ist: das Vorkommen vieler Arten in Metapopulationen, also mehreren Subpopulationen, die untereinander in einem gelegentlichen genetischen Austausch stehen. Dieser Austausch ist umso entscheidender für das Überleben, je kleiner die einzelnen Teilpopulationen sind. Die Artenschutz-Praxis kämpft häufig gegen Windmühlenflügel, indem sie viel zu kleine, isolierte Vorkommen zu erhalten versucht. Das bindet personelle und finanzielle Ressourcen, die nüchtern betrachtet absehbar eine Fehlinvestition darstellen. Für die Biodiversität wäre viel mehr erreicht, würde man die Ressourcen auf solche Schutzprojekte konzentrieren, die realistisch die Überlebensfähigkeit von Zielarten herstellen. Die Modellierung zeigt dies mustergültig für den Luchs als Zielart: Eine vergleichsweise kleine Wiederansiedlung in einer Schlüsselposition kann der Gesamtpopulation den notwendigen Kick geben, um überlebensfähig zu werden. Hilfe zur Selbsthilfe also.

Weit mehr als derzeit sollte die Herstellung überlebensfähiger Populationen als Entscheidungskriterium im Naturschutz eingesetzt werden, um Handlungsschwerpunkte effizient zu wählen. Vor allem angesichts der Folgen der Klimakatastrophe, die die Verbreitungsgebiete viele Arten schon heute deutlich verändert. Es wird Zeit, die Prioritäten in Teilen zu überdenken!

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