Stadtbäume und Räume für das Zur-Ruhe-Kommen
Stadtbäume machen die Hitzeinseln in Städten erträglich, indem sie die Temperaturen gegenüber den stark versiegelten Nachbarflächen um mehrere Grad reduzieren. Sie fungieren als Schattenspender und kühlen durch Verdunstung ihre Umgebung, filtern Luftschadstoffe und fördern die physische und psychische Gesundheit der Bevölkerung: Menschen, die in der Nähe von Bäumen leben, benötigen seltener Antidepressiva. Und gerade zeigt eine Studie in der Zeitschrift Planetary Health, dass die Sterblichkeit in durchgrünten Städten geringer ausfällt, als in verdichteten grauen Großstädten.
von Eckhard Jedicke erschienen am 17.07.2024Zehn Prozent Baumschatten
Es gibt also viele gute Gründe des menschlichen Wohlergehens für eines der Ziele, welches die nun endlich verabschiedete EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur festgelegt: Bis 2050 soll in allen urbanen Räumen eine Baumbedeckung von zehn Prozent erreicht werden. Das Zieljahr liegt noch ein Vierteljahrhundert entfernt, doch bekanntlich benötigen Bäume viel Zeit, um zu wachsen. Es gilt in den Kommunen daher schon jetzt zu handeln – und zwar in allen urbanen Räumen, denn die EU nennt keine Mindestgrößen für die Städte. Ebenso fehlen Definitionen zur Abgrenzung der Stadträume als Bezugsgröße und zur räumlichen Verteilung innerhalb dieser. Denn es bestehen große soziale Ungleichheiten: je geringer der soziale Status der Bevölkerung, desto geringer auch der Zugang zu Grün. In den nationalen Renaturierungsplänen, die unter Einbindung der Zivilgesellschaft binnen zwei Jahren vorzulegen sind, müssten solche Definitionen erfolgen.
Dieses Ziel für die Stadtbäume ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Wiederherstellungsverordnung nicht eine abstrakte Natur, sondern das Wohlergehen des Menschen zum Ziel hat. Es geht nicht vordergründig um den Eigenwert von Natur, sondern um uns. Das gilt es gegenüber der lautstarken Rhetorik, die neue Belastungen für Land- und Forstwirtschaft fürchtet, anstatt die Notwendigkeit funktionsfähiger Ökosysteme und der Biodiversität für nachhaltige Landnutzungssysteme und den Menschen einzusehen, nachdrücklich zu betonen.
Zukunftsbäume für Biodiversität
Stadtbäume kämpfen aufgrund ihrer spezifischen Standorte bereits heute enorm mit den Folgen des Klimawandels. Auch deshalb sind Neupflanzungen notwendig. Sogenannte Zukunfts- oder Klimabäume werden nach dem Kriterium ausgewählt, ob sie mit künftig erwartenden Klimaänderungen klarkommen. Vergessen wird hierbei die Multifunktionalität des Stadtgrüns: Es sollten vor allem solche Baumarten gepflanzt werden, die auch für möglichst viele Insekten eine Lebensraumfunktion haben. Denn wo viele Insekten leben, können auch viele Vögel vorkommen – und diese Biodiversität fördert gleichermaßen das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bevölkerung. Daher analysieren wir in dieser Ausgabe die Nutzung von 126 Klimabäumen für phytophage und parasitische Organismen – mit einer Schwankungsbreite von zwei bis 570 Arten pro Baumart. Es ist also an der Zeit, die bestehenden Baumarten-Empfehlungen zu überarbeiten, um größtmöglichen Nutzen zu schaffen.
Tranquillity-Gebiete
Gegenpol zu den oft verlärmten Städten sind Tranquillity-Gebiete: Räume des Zur-Ruhe-Kommens mit einer hohen Erholungsqualität. Die deutsche Übersetzung mit dem Begriff „Ruhe“ als Abwesenheit von Lärm greift hier zu kurz, wie eine Anwendung der Methode im Schweizer Mittelland zeigt. Eine interessante und wichtige Erweiterung klassischer Schutzwerte, da die hier erfassten Gebiete häufig nicht deckungsgleich mit Naturschutzgebieten sind. Auch hier geht es um Lebensqualität für uns Menschen, nicht abstrakte, schwer greifbare Schutzziele!
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