Vielfalt aus der Samentüte?
Das Projektteam „100 Äcker für die Vielfalt!“ und das Netzwerk Blühende Landschaft haben ein Positionspapier vorgelegt, welches nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben wird. Die Hinweise sollen helfen, den Schutz der Ackerwildkräuter (und damit indirekt der Blütenbestäuber) bestmöglich in den Länderprogrammen zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik zu verankern.
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Ein Positionspapier zur Integration des Ackerwildkrautschutzes in Ansaat-Blühstreifen-Programme
Von Thomas van Elsen und Holger Loritz (Redaktion)
Hintergrund und Anlass
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union bietet aktuell eine große Chance für mehr Naturschutz in der Agrarlandschaft. Mit der anstehenden Agrarreform sind erstmals verpflichtende Maßnahmen zum Schutz der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes und der Erhaltung der Biodiversität für alle Landnutzer, die Direktzahlungen erhalten (sog. 1. Säule), zu erwarten. So sollen auf Ackerstandorten sogenannte „ökologische Vorrangflächen“ dazu beitragen, die Biodiversität in der Agrarflur zu steigern. Ebenso steht eine Weiterentwicklung der freiwilligen Agrarumweltmaßnahmen (AUM, innerhalb der sog. 2. Säule) an, welche von den EU-Mitgliedstaaten (in Deutschland sind die Bundesländer zuständig) ko-finanziert werden müssen.
In der 1. und 2. Säule werden Ansaat-Blühstreifen, die als AUM insbesondere in der ablaufenden Förderperiode weite Verbreitung gefunden haben, als Maßnahme zur Erhaltung und Förderung der Agrarbiodiversität im Ackerbau propagiert. Dieser Ansatz, der überspitzt mit „Vielfalt aus der Samentüte“ formuliert werden kann, berücksichtigt jedoch nicht die Ansprüche der vielfach von massivem Rückgang betroffenen Ackerwildkräuter und kann diese zusätzlich gefährden. Im vorliegenden Positionspapier wird dargestellt, wie Ackerwildkrautschutz und Blühflächen-Ansaaten gleichermaßen umgesetzt werden und die Biodiversität in der Agrarlandschaft fördern können.
Die Vielfalt ist gefährdet!
Ackerwildkräuter sind die Stiefkinder des Naturschutzes. Die Farben von Kornblume und Mohn sind erst durch die historische Landnutzung Teil der Kulturlandschaften Mitteleuropas geworden. Im Zuge der Industrialisierung der Landnutzung haben chemisch-synthetische Spritzmittel und hohe Düngergaben zu einer drastischen Artenverarmung auf den Äckern geführt, die die Pflanzen- und Tierwelt gleichermaßen betrifft. Bis heute konnte kein flächenhaft wirksames Schutzkonzept realisiert werden; der Artenschwund schreitet weiter voran.
Das von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der „Tagung zum Schutz der Ackerwildkrautflora“ am 25./26. 06.2004 erarbeitete Karlstadter Positionspapier zum Schutz der Ackerwildkräuter (van Elsen et al. 2006) hat Schutzmöglichkeiten aufgezeigt und Forderungen an Bürger, Fachleute und Politiker gestellt. Leider trägt zusätzlich der großflächige und undifferenzierte Einsatz von Ansaat-Blühmischungen zur Gefährdung der Arten bei.
Auch die Populationen blütenbestäubender Insekten sind in vielen Agrarlandschaften in kritischem Zustand oder so stark zurückgegangen, dass die Bestäubung von Kultur- und Wildpflanzen nicht mehr gesichert ist. Die Populationen der halb-domestiziert gehaltenen Honigbiene (Apis mellifera), die als das wichtigste bestäubende Insekt vieler Kulturpflanzen gilt, müssen alljährlich hohe Winterverluste hinnehmen. Viele Faktoren wirken hier zusammen, wobei der Nahrungsmangel insbesondere in den Sommermonaten von Juni bis September eine Zufütterung während der „Trachtlücke“ notwendig macht und zur Schwächung der Bienenvölker beiträgt.
Die Populationen der wild lebenden Bestäuberinsekten sind weitaus gravierender bedroht, in den Roten Listen gelten jeweils mehr als 60% der Wildbienen und Tagfalter im Bestand als nicht gesichert. Die Datenlage ist hier noch unvollständig. Einzelne wissenschaftliche Studien haben in den letzten Jahren Belege für den Artenverlust und Populationsrückgang dieser Artengruppen geliefert. Ebenso ist die wirtschaftliche und zentrale ökosystemare Bedeutung der Bestäubung durch mehrere Forschungsbeiträge in den letzten Jahren evident geworden.
Mit dem Schutz und der Erhaltung einer artenreichen Ackerwildkraut-Flora ist fast immer auch eine Förderung bestäubender Insekten verbunden, weil viele Ackerwildkräuter von teils stark gefährdeten und spezialisierten Insekten (z.B. Wildbienen wie Mohn-Mauerbiene – Osmia papaveris, Ehrenpreis-Sandbiene – Andrena viridescens oder Buckel-Seidenbiene – Colletes daviesanus) bestäubt werden.
Wenn bestäubende und samenverbreitende Tiere von Maßnahmen des Ackerwildkrautschutzes profitieren, erhöht dies wiederum die Überlebensfähigkeit der Wildkrautpopulationen. Darüber hinaus gehören einige Ackerwildkräuter, z.B. Kornblume (Centaurea cyanus), Kornrade (Agrostemma githago) und Acker-Spörgel (Spergula arvensis), auch für häufige und weniger spezialisierte Insekten (z.B. Honigbiene, einige Hummel- und Schmetterlingsarten) zu den wichtigen Pollen- und Nektarquellen. Diese Wildkräuter wurden deshalb von den Imkern in früheren Zeiten gezielt in Getreideanbaugebieten als Sommertrachten genutzt. Noch heute wird in manchen Regionen, z.B. in Mecklenburg-Vorpommern, Kornblumen-Honig gewonnen.
Bisherige Schutzmaßnahmen unzureichend!
In Agrarumweltmaßnahmen zur Anlage von Blühstreifen und Blühflächen findet der Ackerwildkrautschutz leider noch immer zu wenig Berücksichtigung, obgleich die Ackerwildkräuter zu den am stärksten von Artenverlust und Populationsrückgang betroffenen Pflanzengruppen in Deutschland zählen. Als eine Antwort auf die Notlage der Blütenbestäuber und anderer Tiere der Feldflur wurden zuletzt in vielen Bundesländern Blühflächen durch AUM mit Beträgen von 450 bis 750 €/ha gefördert (in einigen Bundesländern auch deutlich höher, z.B. Bayern je nach Ertragsmesszahl bis zu 2000 €/ha). Deutschlandweit sind seither etwa 57000 ha Blühflächen eingesät worden.
Der Anbau von im Frühjahr ausgebrachten Blühmischungen kann auf Äckern, in deren Samenpotenzial noch selten gewordene Ackerwildkräuter vorkommen, in direkter Konkurrenz zu dem Schutz winterannueller Ackerwildkräuter stehen, die auf Zeitpunkte der Bodenbearbeitung im Herbst angewiesen sind. Zudem wird nicht selten Saatgut verwendet, das aus Sicht des botanischen Artenschutzes eine problematische Artenzusammensetzung und Herkunft aufweist.
Das Ziel: Ackerwildkräuter und Insekten gleichermaßen fördern!
Ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördertes Projekt „100 Äcker für die Vielfalt“ ( http://www.schutzaecker.de ) bemüht sich um die Einrichtung eines Schutzgebiets-Netzwerks langfristig gesicherter Schutzäcker für die Ackerwildkraut-Flora, das „Netzwerk Blühende Landschaft“ ( http://www.bluehende-landschaft.de ) um Maßnahmen zur Förderung und Sicherung der Insektenvielfalt in der Kulturlandschaft. Damit die Bemühungen um den Erhalt und die Entwicklung der Artenvielfalt zum Erfolg führen, müssen sie einher gehen mit verbesserten Förderinstrumenten. AUM müssen so ausgestaltet werden, dass Synergien genutzt und sektoral auf bestimmte Artengruppen fixierte Zielsetzungen überwunden werden.
Im vorliegenden Papier wird gefordert, künftige Förderprogramme auf Ackerflächen so auszugestalten, dass Ziele des Ackerwildkrautschutzes und das Ziel der Förderung einer artenreichen Insektenfauna durch Blühmischungen gleichermaßen erreicht werden. Die sachgemäße Ausgestaltung und differenzierte Anwendung von Förderprogrammen soll und kann ein effizienter Mosaikstein in dem Bemühen sein, den Verlust an biologischer Vielfalt in der Agrarlandschaft zu stoppen.
Zentrale Forderungen
Für die Umsetzung in Förderprogrammen der Bundesländer aus Sicht des Ackerwildkraut- und Insektenschutzes wird festgestellt: „Vielfalt aus der Samentüte“ ist keine generelle Lösung für den Rückgang der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft. Der Schutz selten gewordener und bedrohter Ackerwildkräuter muss in der Konzipierung der Förderprogramme berücksichtigt werden. Gleichzeitig bietet sich die Chance, bedrohte spezialisierte Bestäuberinsekten zu fördern:
(1) Die Anlage von Blühstreifen darf nicht in Konkurrenz zur Anlage von Ackerrandstreifen und Schutzäckern stehen! Auf Äckern mit seltenen und gefährdeten Ackerwildkräutern in der Samenbank muss die Entwicklung der Spontanvegetation Vorrang haben. Die langfristige Sicherung sollte durch die Einrichtung von Schutzäckern und Ackerrandstreifen erfolgen, die bundesweit ausgeweitet werden müssen. Die Bewirtschaftung sollte sich an den vorliegenden Empfehlungen für die Bewirtschaftung von Schutzäckern ( http://www.schutzaecker.de/?leitfaden ) orientieren und an eine Naturschutzberatung gekoppelt werden (Förderhöhe: 300 bis 1000 €/ha, je nach Bodengüte). Die Fördersätze für den Schutz und die Entwicklung von Ackerwildkräutern sind denen für Blühflächenansaaten mindestens anzugleichen bzw. die Erhaltung der bodenbürtigen Artenvielfalt der Ackerwildkräuter und ihrer Bestäuberinsekten mit einem Bonus von mindestens 25% über der Blühflächenansaat zu fördern. Zudem müssen die Programme flexibel gestaltbar sein, um den spezifischen Bewirtschaftungs-Ansprüchen der verschiedenen Ackerwildkraut-Biozönosen gerecht zu werden (beispielsweise gezielte Fördermöglichkeiten für seltene Spätblüher bei deren Auftreten; möglichst flexible Bewirtschaftungsvorgaben, Betreuung durch Naturschutzberater).
(2) Eine fachlich kompetente einzelbetriebliche Naturschutzberatung der Landwirte zur Ackerwildkrautflora und zur Blühflächenansaat ist in allen Bundesländern zwingend nötig, damit Landwirtschaft und Naturschutz sachgemäße Entscheidungen treffen können und zudem eine effiziente Kombination von AUM und ökologischen Vorrangflächen der 1. Säule gewährleistet wird.
(3) Mehrjährige Blühflächen erzielen generell für die Insektenfauna (und andere Tiere der Feldflur, z.B. Vögel, Niederwild) eine höhere ökologische Wertigkeit als einjährige Blühflächen, da diese auch für stärker spezialisierte Wildinsekten ganzjährig Lebens- und Nahrungsraum bieten. Von besonderem Wert ist die frühe Blütentracht überjähriger Arten bereits im zeitigen Frühjahr. Auch für mehrjährige Ansaaten, die vor allem aus Arten des Grünlandes und der Säume zusammengestellt werden, sollte das Gebot zur Verwendung autochthonen Saatgutes gelten. Praxistaugliche Strategien und Konzepte zur Ansaat mehrjähriger autochthoner Wildpflanzen (s.o.) sollten entwickelt und gefördert werden. Grundlagen liefert das Papier „Eckpunkte für die Umsetzung eines praxisorientierten Blühflächenkonzepts“ ( http://www.bluehende-landschaft.de, Rubrik „Politische Stellungnahmen und Positionspapiere“; Fördersätze je nach Bodengüte für zwei- und mehrjährige Mischungen 500 bis 800 €/ha).
(4) Ansaat-Blühstreifen mit Wildpflanzen sollten im gleichen Naturraum produziertes bzw. von dort stammendes Saatgut verwenden, um die autochthonen Populationen nicht zu gefährden. Keinesfalls sollten gebietsfremde Ackerwildkräuter eingebracht werden, die Populationen am Standort u.U. weiter schwächen können. Diese Verpflichtung zur Verwendung lokal produzierten Saatguts muss in der Berechnung der Fördersätze berücksichtigt werden, da autochthone Saaten erhöhte Kosten verursachen.
(5) Bei der Anlage einjähriger Ansaat-Blühstreifen und -flächen sollten erprobte Kulturarten (Buchweizen, Gelbsenf, Phacelia, Ölrettich u.a.) Verwendung finden, die sich nicht mit Wildpflanzen-Populationen kreuzen. Solche Ansaatflächen sollten besonders die Trachtlücke in den Sommermonaten von Juni bis August (September) ausgleichen. Dies kann entweder durch gestaffelte Ansaatzeitpunkte oder durch eine entsprechend späte Aussaat im Mai/Juni gewährleistet werden. Hierbei sind vielfältige Artenmischungen mit variablen Blühzeiten und verschiedenen funktionalen Blütentypen Ein- oder Wenig-Arten-Mischungen vorzuziehen. Bienen, Schmetterlinge, Fliegen oder Käfer haben jeweils spezielle Ansprüche an Blütentypen und Nahrungsangebot. Zehn verschiedene Mischungspartner sollten die Untergrenze bilden. Sinnvolle Mischungspartner sind z.B. Buchweizen als Früh- und verschiedene Kleearten, z.B. Alexandriner- und Inkarnatklee, als Spätblüher (Fördersätze je nach Bodengüte für einjährige Mischungen: 250 bis 400 €/ha).
(6) Wissenslücken zur aktuellen Verbreitung schützenswerter Vorkommen von Ackerwildkräutern müssen geschlossen werden, um die Entscheidungsgrundlage für die Auswahl der Maßnahmen zu verbessern.
(7) Eine Einbringung autochthoner Ackerwildkräuter zur Reetablierung oder Wiederanreicherung der botanischen Artenvielfalt sollte nur dort gezielt erfolgen, wo die Artenzusammensetzung der aktuellen Vegetation zuvor untersucht wurde. Ein aktuelles Forschungsprojekt erforscht derzeit die Grundlagen und erarbeitet praktische Umsetzungsempfehlungen für die gezielte Ansiedlung autochthoner Ackerwildkräuter auf floristisch verarmten Äckern. Generell hat die Einbringung nur dort Sinn, wo eine langfristige Perspektive einer Bewirtschaftung ohne Herbizideinsatz besteht (z.B. Schutzäcker, Ökolandbau).
Die Verfasser dieses Positionspapiers appellieren daran, diese Vorschläge bei der Ausgestaltung von Förderprogrammen der Bundesländer zu berücksichtigen. Programme müssen so ausgestaltet werden, dass sich die Förderung autochthoner Ackerwildkräuter und bedrohter spezialisierter Bestäuberinsekten ergänzen. Unsere Vorschläge tragen somit zu einem kohärenten und nachhaltigen Schutz der Ökosystemfunktionen von Agrarbiozönosen bei.
Literatur
van Elsen, T., Berg, M., Drenckhahn, D., Dunkel, F. G., Eggers, T., Garve, E., Kaiser, B., Marquart, H., Pilotek, D., Rodi, D., Wicke, G. (2006): Karlstadter Positionspapier zum Schutz der Ackerwildkräuter. Erarbeitet von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der „Tagung zum Schutz der Ackerwildkrautflora“ am 25./26.6.2004 in Karlstadt am Main. Z. PflKrankh. PflSchutz, Sonderh. XX, 527-533 (ebenso veröffenticht in Naturschutz und Landschaftsplanung 37 (9), 2005, 284-286).
Anschrift der Verfasser (Redaktion): Dr. Thomas van Elsen, Projekt „100 Äcker für die Vielfalt“, Universität Kassel, FB 11, Fachgebiet Ökologischer Land- und Pflanzenbau, Nordbahnhofstraße 1a, D-37213 Witzenhausen, E-Mail Thomas.vanElsen@uni-kassel.de, Internet http://www.schutzaecker.de; Holger Loritz, Netzwerk Blühende Landschaft (NBL), Schwendistraße 21, D-79102 Freiburg (Brsg.), E-Mail loritz@bluehende-landschaft.de, Internet http://www.bluehende-landschaft.de.
An der Formulierung haben weiter mitgewirkt (in alphabetischer Reihenfolge): Jenja Kronenbitter, Christoph Leuschner, Jürgen Metzner, Stefan Meyer, Rainer Oppermann.
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