Auenverbund Wetterau ist „Weidelandschaft des Jahres 2015“
Alljährlich ruft „Weidewelt – Verein für naturschutzkonforme Landnutzung durch Beweidung“ die „Weidelandschaft des Jahres“ aus. Für 2015 fiel die Wahl auf den „Auenverbund Wetterau“, zwischen Frankfurt und Gießen in Hessen gelegen.
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Von Gerd Bauschmann
Dazu unterbreitet ein Kuratorium bis zu drei Vorschläge. Dem Gremium gehören neben Weidewelt e.V. auch Vertreter des Deutschen Verbandes für Landschaftspflege (DVL), von Taurus Naturentwicklung, der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) und dem Weideverein Taurus an. Aus diesen Vorschlägen kürt die Weidewelt-Mitgliederversammlung die „Weidelandschaft des Jahres“.
Die Wetterau ist eine flachwellige Landschaft, die durchzogen ist von den Flussläufen von Wetter, Horloff, Nidda, Nidder und Seemenbach, die alle im Vogelsberg entspringen. Zwischen den Auen dieser Flüsschen befinden sich großflächige, höher gelegene, fruchtbare Lössplatten, die meist intensiv genutzt werden. Klimagunst und fruchtbare Böden sind auch der Grund dafür, dass die Wetterau seit der Jungsteinzeit kontinuierlich besiedelt ist. Noch heute wird sie als „Kornkammer Hessens“ bezeichnet.
In das 1989 ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet „Auenverbund Wetterau“ sind verschiedene Naturschutzgebiete integriert. Später wurden mehrere FFH-Gebiete und das EU-Vogelschutzgebiet Wetterau ausgewiesen; sie unterstreichen die europaweite Bedeutung des Gebietes. Dank der Naturschutzmaßnahmen der letzten Jahrzehnte sind heute noch große Teile der Flussauen als Frisch- und Feuchtwiesen mit vereinzelten Salzstellen erhalten geblieben bzw. in zunehmendem Maße wieder hergestellt worden. Letzteres gilt insbesondere auch für weitere Landschaftselemente, wie periodisch trockenfallende Flutmulden, Nassbrachen, Röhrichte und Großseggenriede.
Die Wetterau bildet das bedeutendste hessische Brutgebiet für Wasser-, Wat- und Wiesenvögel. Sie ist das einzige Brutgebiet für Großen Brachvogel und Rothalstaucher. Fast 50 % des hessischen Kiebitzbestands brütet hier. Auch für Bekassine, kleine Rallen, verschiedene Entenarten, Grauammer, Schwirle und Rohrsänger ist die Wetterau das wichtigste Brutgebiet in Hessen. Daneben ist die Wetterau ein bedeutendes Rast- und Überwinterungsgebiet für Wasser-, Wat- und Wiesenvögel. Sie ist das hessische TOP-1-Gebiet für 19 Vogelarten.
Behördenvertreter des Hessischen Umweltministeriums, der Staatlichen Vogelschutzwarte, des Regierungspräsidiums Darmstadt, des Forstamts Nidda sowie der Naturschutz-, Agrar- und Veterinärverwaltung des Wetteraukreises sind sich mit den ehrenamtlichen Naturschützern – insbesondere von NABU, HGON (Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz) und Naturschutzfonds Wetterau (Landschaftspflegeverband des Wetteraukreises) – sowie praktizierenden Landwirten und Tierhaltern einig: Die Auenbereiche des Auenverbunds Wetterau müssen weiterhin ihren Charakter als feuchtes bis wechselfeuchtes Grünlandgebiet behalten. Insbesondere die Erhaltung und Verbesserung der offenen, meist wassergeprägten Lebensräume der überregional bedeutenden Brut- und Rastvogelpopulationen ist notwendig.
Zahlreiche Auenbereiche wurden inzwischen wiedervernässt, Kleingewässer und Flutmulden angelegt. Dazu wurde die Beweidung gefördert, hauptsächlich mit Rindern und Pferden. Der in der Wetterau geprägte Slogan „Wasser rein, Rinder drauf: mit der Fauna geht’s bergauf“ ist inzwischen deutschlandweit bekannt.
Bei den eingesetzten Rinderrassen ist eine breite Palette zu finden: Sie reicht von den Rückzüchtungen der Auerochsen, den so genannten Heckrindern, über alte, beinahe ausgestorbene Nutztierrassen, wie dem Roten Höhenvieh, sowie extensiven ausländischen Rinderrassen, wie den schottischen Hochlandrindern und Galloways oder den französischen Aubracs, bis zu modernen Hochleistungsrindern, wie den Schwarzbunten, von denen insbesondere Jungrinder im Weidebetrieb stehen. Kombiniert werden die Rinder gelegentlich mit robusten Kleinpferden, z.B. Exmoorponys im Bingenheimer Ried, Koniks in den Auwiesen bei Effolderbach oder Haflingern.
Aber nicht nur Positives ist zu berichten: Da Röhrichte und Flutmulden nicht unter die EU-Definition von Grünland fallen, werden sie bei Agrarsubventionen der 1. Säule (Betriebsprämie) nicht berücksichtigt. Dieses hat einschneidende Folgen: Durch mögliche Betriebsaufgaben und drohende Verluste der Beweidung wird landesweit künftig die Erreichung der Erhaltungsziele in zahlreichen FFH- und Vogelschutzgebieten in Frage gestellt. Aus Sicht des Vereins Weidewelt stellt die extensive Beweidung ein zentrales und unverzichtbares Rückgrat nicht allein für die bäuerliche Landwirtschaft dar, sondern ebenso als nicht ersetzbares Instrument des Naturschutzes. Es besteht ernsthafte Sorge, dass künftig gerade die mit Abstand am stärksten das Tierwohl, Umwelt- und Naturschutzziele fördernde Form der Tierhaltung, die extensive Beweidung, nicht mehr wirtschaftlich tragfähig möglich sein wird.
Neben den Agrarsubventionen stellt die EU aber auch ein weiteres Instrument zur Verfügung, mit dem schwerpunktmäßig Maßnahmen in FFH- und EU-Vogelschutzgebieten, also auch die extensive Beweidung, finanziert werden könnten: „LIFE 2014-2020“ (L’Instrument Financier pour l’Environnement). Im Rahmen eines Projekts der Nachhaltigkeitsstrategie Hessen „Artenvielfalt in Hessen – auf Acker, Wiesen und in Gärten“ wurde bereits 2011 eine Studie „Konzeptionelle Eckpunkte für ein Naturschutzprojekt Weideverbund Wetterau“ für das hessische Umweltministerium erstellt, das LIFE als Finanzierungsinstrument vorschlägt. Bisher liegt das Konzept noch in der (Ministeriums-)Schublade. Auch ein weiteres Konzept wurde noch nicht umgesetzt: Weidewelt e.V. hat bereits vor mehreren Jahren beim Wetteraukreis eine Projektskizze mit dem Vorschlag eingereicht, begleitend zur „Archäologielandschaft Wetterau“ auch die Nutztiere der jeweiligen Epoche der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Das Wissen dazu, wie diese Tiere ausgesehen haben könnten, stammt aus Knochenfunden, auch aus Aufzeichnungen und bildlichen Darstellungen. So weiß man, dass die Rinder im Mittelalter im Durchschnitt nur 112 cm hoch waren, heute sind es etwa 140 cm. Der Verein hofft, dass beide Konzepte doch noch umgesetzt werden.
Mehr über den Verein „Weidewelt“, der mit Partnern aus ganz Europa sowohl praktische Beweidungsmaßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt auf Weideflächen und zur artgerechten Tierhaltung bei landwirtschaftlichen Nutztieren plant und durchführt als auch Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung betreibt, sind unter http://www.weidewelt.de zu finden.
Anschrift des Verfassers: Dipl.-Biol. Gerd Bauschmann, Weidewelt e.V., Verein für naturschutzkonforme Landnutzung durch Beweidung, Jahnstraße 3, D-35579 Wetzlar.
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