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Entwicklung natürlicher Wälder in Hessen (III) – die Argumente der Kritiker

Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, gefährlich, unmoralisch?

Abstracts

Die Risiken, die Kritiker in natürlicher Waldentwicklung sehen, sind unbegründet. Der Klimawandel ist nicht nur kein Hindernis für eine natürliche Entwicklung von Buchenwäldern, sondern macht diese besonders notwendig. Da die Menge an Laubholz weiter zunimmt, führt ein Nutzungsverzicht auf 5 % des Waldes weder zu einem Versorgungsnotstand noch zu übermäßigen volkswirtschaftlichen Kosten, zum Verlust von Arbeitsplätzen oder einer Intensivierung der forstlichen Nutzung des Wirtschaftswaldes. Der Erhalt deutscher Laubwälder gefährdet weder boreale noch tropische Wälder und ist eine Verpflichtung gegenüber der Welt und nachfolgenden Generationen.

Natural forests: redundant, overpriced, dangerous, immoral? Development of natural forests in Hesse (III)

The risks of natural forest development as identified by critics lack of substantiation. Climate change not only is no risk for a natural development of beech forests but rather makes them more important than ever. Since the share of deciduous woods will increase over the next decades the non-utilization of 5 % of the forests will neither lead to a shortage of supply nor to excessive costs for the national economy. It will also neither cause job losses nor the intensification of cultivated forests.

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<strong>Abb. 1: </strong>Künftiger natürlicher Wald Wispertaunus: Auf Vorschlag der Naturschutzverbände (NabuHessen &BundHessen 1994, ZGF et al. 2015) wurde im Hinterlandswald 2016 eine 1 088 ha große Waldfläche aus der Nutzung genommen. © NABU/Manfred Delpho  Future natural forest "Wispertaunus”: On proposal of NGOs an area of 1,088 ha was taken out of utilization in 2016.
Abb. 1: Künftiger natürlicher Wald Wispertaunus: Auf Vorschlag der Naturschutzverbände (NabuHessen &BundHessen 1994, ZGF et al. 2015) wurde im Hinterlandswald 2016 eine 1 088 ha große Waldfläche aus der Nutzung genommen. © NABU/Manfred Delpho Future natural forest "Wispertaunus”: On proposal of NGOs an area of 1,088 ha was taken out of utilization in 2016.NABU/Manfred Delpho
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1 Einleitung

In einer dreiteiligen Serie wird am Beispiel des Bundeslandes Hessen beleuchtet, wie der aktuelle Stand natürlicher Waldentwicklung ist und welche fachlichen Kriterien zur Flächenauswahl anzulegen sind (Harthun2017a).In der zweiten Folge wurde dargestellt, welche Vorteile große, miteinander zusammenhängende Gebiete gegenüber vielen kleinen haben (Harthun2017b).

Die vorliegende dritte Folge greift zahlreiche Argumente auf, die im Zusammenhang mit der Auswahl von Flächen gegen natürliche Waldentwicklung vorgetragen wurden. Die Diskussion, ob eine natürliche Entwicklung von Wäldern auf 5 % der Waldfläche (Bmunr2007)zugelassen werden darf, wie es das Ziel der Hessischen Biodiversitätsstrategie (Hmuklv2016)und der hessischen Koalitionsvereinbarung ist, weckt außergewöhnlich viele Emotionen.

Manche Gegner zeichnen ein düsteres Bild, wie Michael Rolland, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, nach dem natürliche Waldentwicklung zu einem „stillgelegten toten Wald inmitten eines dann sterbenden ländlichen Raums" führen würde (Holz-Zentralblatt 22.08.2014). Dabei bleiben gerade in natürlichen Wäldern die Bäume vor der Säge verschont und erreichen neue Dimensionen in Alter, Höhe, Stammdicke und Artenvielfalt, die in Wirtschaftswäldern nicht möglich sind.

2 Die Buche als Klima-Verlierer?

Der Präsident der AGDW, Philipp Freiherr zu Guttenberg, hält den Schutz von Buchenwäldern für eine „gefährliche Schiene" und hält die Buche ( Fagus sylvatica ) in Deutschland offenbar für nicht überlebensfähig: „Auch und gerade eine Buche ist nicht gewappnet, sich mit den prognostizierten Klimabedingungen zurechtzufinden." Alternativen sollen die nicht heimischen Douglasien ( Pseudotsuga menziesii ) und Roteichen ( Quercus rubra ) sein, dabei haben in der Vergangenheit gerade nicht heimische und nicht standortgerechte Baumarten zu Schädlingskalamitäten, wie von Borkenkäfern, Maikäfer ( Melolontha hippocastani ) und Eichenprozessionsspinner ( Thaumetopoea processionae ), und zu Sturmwürfen geführt. LautMöhring & Wilhelm (2015)liegt die „Kalamitätsnutzung" der Fichte ( Picea abies ) bei 58 %. Das heißt, nur 42 % werden planmäßig geerntet, alles andere in Reaktion auf Schadereignisse. Hier spielt offensichtlich das Verwertungsinteresse eine größere Rolle als der Wunsch nach Walderhalt im Klimawandel: „Unsere Industrie ist auf Nadelhölzer ausgerichtet, und das wird sich in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren eher nicht ändern" (Guttenberg2016).

Stabilität versprechen vor allem natürliche Wälder, in denen sich das Erbgut der Bäume derselben Art sehr stark voneinander unterscheidet, was Anpassungsprozesse möglich macht. Trotz Klimaerwärmung wird die Mehrzahl der bestehenden Buchen-Standorte auch künftig für den Buchen-Anbau geeignet sein (Abiy & Ullrich2013, Beierkuhnleinet al. 2014,Hlug2007). Gerade die Klimaänderung macht ein repräsentatives System von Naturwäldern notwendig, in denen ein möglicher natürlicher Wandel der Baumartenzusammensetzung studiert werden kann (Abb. 1).

3 Rückgang der Artenvielfalt?

Noch weiter geht eine Argumentation, die durch die Entwicklung einer „Buchenmonokultur" in Naturwäldern sogar einen Rückgang der Artenvielfalt befürchtet: „Es gibt ein monotones, stufenloses Waldgefüge. Das heißt, die anderen Mischbaumarten, wie z.B. Eiche, Ahorn, Linde, Kirsche, Esche usw. verschwinden komplett" (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald,Ortsverband Nidda 1/2016). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte: „Der Urwald von morgen wird dunkel und düster" (18.08.2016). Bestimmender Faktor für die Artenvielfalt sei „die Artenvielfalt des Holzes und nicht die Menge des Holzes" (Schulzeet al. 2016).

Manche Forstbedienstete fürchten Nachteile für die Bechsteinfledermaus ( Myotis bechsteinii ), die heute von alten Eichen ( Quercus spec.) profitiert. Manchmal wird in der Debatte sogar der Eindruck erweckt, Bäume könnten von Natur aus gar nicht wachsen: Die Fällung von Bäumen sei nötig, um „Licht und Raum für neues Leben" im Wald zu schaffen (so die FAZ am 27.05.2016).

Dieser Mythos vom artenarmen Buchenwald wird durch die 26-jährige hessische Naturwaldreservate-Forschung widerlegt, wonach in unseren Buchenwäldern deutlich mehr als 7 500 Arten leben (HessenForst 2005). Dass Prozessschutz zum Verschwinden anderer Baumarten führt, könnte allenfalls in den kleinen, nutzungsfreien Kernflächen passieren, die vom Landesbetrieb HessenForst ausgewählt wurden. Zwar kann es auf Normalstandorten zur Verdrängung von ehemals forstlich geförderten Nebenbaumarten kommen (vgl.Menzler&Sawitzky2015),weil naturnahe Buchenwälder häufig arm an Mischbaumarten sind. „Diese Tatsache ist kein Mangel, sondern ein wesentliches Kennzeichen, das für die Erhaltung einer typischen Lebensgemeinschaft von großer Bedeutung ist" (Ammer & Utschick2004 inMeyer & Schmidt2008). Große Naturwälder werden aber aufgrund ihrer Standortvielfalt auch die Baumartenvielfalt bewahren. Jeder vom Wind geworfene oder abgestorbene Baum schafft Licht und Raum für Naturverjüngung.

Im hessischen Nationalpark Kellerwald-Edersee (5 745 ha) geht man davon aus, dass sich andere Waldgesellschaften auf azonalen und extrazonalen Standorten sogar von 83 ha auf über 180 ha ausweiten werden. Die Krautschicht ist sehr vielgestaltig und 24 andere einheimische Baumarten wie Traubeneiche ( Quercus petraea ), Hainbuche ( Carpinus betulus ), Esche ( Fraxinus excelsior ) und Bergahorn ( Acer pseudoplatanus ) bieten auf 116 ha neben der Buche einem breiten Spektrum von Tierarten Lebensraum (Menzlner&Sawitzky2015). In nassen Quelllagen ist die Erle ( Alnus glutinosa ) der Buche überlegen, an trockenen Südhängen die Hainbuche, in schattigen Schlucht- und Hangwäldern die Bergulme ( Ulmus glabra ), die Esche und der Berg-Ahorn.

Bei Bilanzen der Artenvielfalt ist zudem zu beachten, dass gar nicht die Artenzahl in einem Gebiet entscheidend ist, sondern vielmehr die Frage, ob diese Arten auch lebensraumtypisch sind (Klasse statt Masse). Dass Naturwälder die Aufgabe haben, Artenzahlen innerhalb eines Gebietes zu maximieren, ist ein Missverständnis. Sie können vielmehr dazu beitragen, ergänzend zu dem Schutz der Kulturlandschaften durch den Schutz spezifischer, waldgebundener Arten (Winteret al. 2016) die Artenvielfalt in Deutschland insgesamt zu erhöhen. Viele im Wirtschaftswald vorkommende Arten sind bezüglich ihrer Lebensraumansprüche flexible Arten, die auch im Offenland vorkommen. Andere, vor allem lichtliebende Arten, sind die Folge forstwirtschaftlicher Maßnahmen, wie der Anlage und Pflege von Forstwegen oder der Auflichtung von Wäldern (vgl. auch Stör- und Stickstoffzeiger, Schmidt2013). Sie sind also weder waldtypisch, noch bedürfen sie dort des Schutzes (Abb. 2).

Die Bechsteinfledermaus hat nichts zu befürchten, denn sie ist nicht von Eichen abhängig, sondern eine typische Art der alten Laubwälder mit spezieller Bevorzugung von alten Eichen- und Buchenwäldern (Dietz2013).

Das Vorkommen der Lichtbaumart Eiche sollte kein Hinderungsgrund für die Auswahl künftiger Naturwälder sein. Eichen werden trotz der Konkurrenz durch die Buche im natürlichen Wald ein wesentlich höheres Alter erreichen als im Wirtschaftswald, wo sie geerntet werden, lange bevor sie ihr großes Potenzial als Habitatbäume erreichen. Vitale Eichen mittleren Alters sind gar nicht so artenreich wie ihr Ruf. Alte, anbrüchige Buchen sind Lebensraum für eine um 35 % höhere Artenzahl als vitale Eichen (Müller2005).Entscheidend für den Naturschutz ist also, dass Eichen sehr alt werden, und dies gelingt in Hessen in der Regel nur bei Nutzungsverzicht in Naturwäldern (Abb. 3,Jedicke & Hakes2005).Nach einem Reisebericht von Georg Sperber aus den Buchen-Urwäldern im Iran ist Eichennachwuchs zwar rar, aber offenbar ausreichend, um den Arterhalt zu sichern. Angesichts eines Baumalters von vielen hundert Jahren können auch kurze Phasen der Verjüngung zum Erhalt der Eiche genügen. Zur Förderung der Eiche verbleiben zudem noch viele Möglichkeiten auf 95 % der Waldfläche, die weiter bewirtschaftet wird.

4 Volkswirtschaftliche Verluste?

Manche Autoren beschwören dramatische volkswirtschaftliche Kosten durch natürliche Waldentwicklung. Demnach stelle Naturschutz „auch eine Bewirtschaftung von Wald dar". Daher müsste für Naturschutz zwingend eine Bestimmung der „Verzichtskosten" erfolgen (Seintsch2014).Bei dieser Argumentation wird also von einem Recht zur Naturnutzung ausgegangen. Es stellt sich dann die Frage, ob dann auch für den Nutzungsverzicht anderer Ressourcen, wie die Abkehr von der Atomenergie, von der Kohlenutzung, bei Beschränkungen der Überfischung der Meere oder beim Schutz der Tropischen Regenwälder jeweils „Verzichtskosten" durch die Gesellschaft zu erbringen sind? Und offen ist die Frage, wer den Anspruch auf eine Entschädigung haben soll. Obwohl der Staatswald Eigentum der Bürger ist und die Gesellschaft den Waldaufbau seit über hundert Jahren auch schon finanziert hat, müssen in einigen Bundesländern die Bürger nun erneut Entschädigung für das Stehenlassen der Bäume zahlen.

Bei einer Betrachtung über scheinbar entgangene Einnahmen bei einem Nutzungsverzicht muss berücksichtigt werden, dass trotz der in den letzten Jahren aus der Nutzung genommenen Wälder die Holzernte gar nicht gesunken ist. Auch der Vorrat nahm in den letzten zehn Jahren zu. Der Holzzuwachs liegt in Hessen um 10 % höher als die im Staatswald geerntete Holzmenge von 1,97 Mio. m³. Auch bundesweit stieg die Holzernte trotz der Ausweisung von Naturwaldentwicklungsflächen von 50 Mio. m³/Jahr (BWI²) auf 75,6 Mio. m³/Jahr (BWI³) bei gleichzeitiger Zunahme des Vorrats von 3,4 Mrd. m³ auf 3,6 Mrd. m³ weiter an.

Zweck eines Landesbetriebs sollte auch gar nicht der maximale Gewinn sein: Das Bundesverfassungsgericht stellte am 30. Mai 1990 heraus: „Die Bewirtschaftung des … Staatswaldes …dient der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes, nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse". Der Beitrag zum hessischen Landeshaushalt durch die forstwirtschaftlichen Erlöse (HessenForst-Überschuss 2014: 8 Mio. €, 2015: 5,5 Mio. Euro) ist, gemessen an den Gesamtausgaben von 25,9 Mrd. € (2016), gering und reicht gerade einmal, um das jährliche Betriebsdefizit des sinnfreien Flughafens Kassel-Calden zu decken. Bei einem vorgegebenen Konsolidierungsbeitrag für den Landeshaushalt von insgesamt 50 Mio. € bis 2019 (HMUKLV-Erlass, 19. Juli 2016), bzw. 10 Mio. €/Jahr (HessenForst 2015),wird der Landesbetrieb Hessen-Forst allein 28 Jahre unter Druck gesetzt, um die politische Fehlentscheidung zum Bau des Flughafens Kassel-Calden zu finanzieren (Baukosten 282 Mio. €, HNA 31.05.2016).

Die Forstwirtschaft hat in Europa mit Ausnahme der skandinavischen Länder eine eher untergeordnete wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung. Laut dem Hessischen Statistischen Landesamt beträgt der Anteil von Land-, Forstwirtschaft und Fischerei zusammen an der Bruttowertschöpfung in Hessen nur 0,26 % (Statistische Berichte, März 2016). Selbst wenn es davon eine geringfügige Abweichung durch die Entwicklung natürlicher Wälder gäbe, hätte dies kaum messbare volkswirtschaftliche Effekte. Auch stehen dem zahlreiche nicht monetarisierbare Ökosystemdienstleistungen (Bodenschutz, Trinkwasser, Klimaschutz, Hochwasserschutz, Erosionsschutz, Artenschutz, Erholung …) gegenüber.

Gegner natürlicher Waldentwicklung verspotten das Bedürfnis nach natürlicher Waldentwicklung manchmal als „naiv-verklärte Waldsicht eines Großteils der großstädtischen Bevölkerung" (FAZ-Kommentar 27.05.2016). Dabei wird ausgeblendet, dass inzwischen in Hessen eine Bevölkerungsmehrheit (53 %) in Städten mit über 20 000 Einwohnern lebt (atlas.umwelt.hessen.de, 28.10.2016). Die Erwartungen an den Wald sind heute nicht mehr dieselben wie vor 50 Jahren. Der Erholungs- und Erlebniswert hat erheblich an Bedeutung gewonnen (Mues2015). Eine natürliche Waldentwicklung dient daher dem Gemeinwohl. Anderswo werden im Gemeinwohlinteresse hohe Summen investiert: Für den Landesstraßenbau verausgabt Hessen jährlich 90 Mio. € ( www.finanzen.hessen.de , 14.11.2016). Den Erhalt der Agrarlandschaft lassen wir uns bundesweit jährlich sogar 6,8 Mrd. € an Subventionen kosten (2015). Der Erhalt natürlicher Wälder aber darf nichts kosten, ja nicht einmal die potenzielle Steigerung von Einnahmen mindern?

Der Bund Deutscher Forstleute befürchtet, „bei Segregation stillgelegter Flächen und bleibender Gewinnerwartung gibt es auf der verkleinerten Fläche für die Forstwirtschaft keine Alternative zur Intensivierung" (Bdf2016). Dazu stellte das hessische Umweltministerium aber klar: „Aus dem Landeshaushalt werden [dem Landesbetrieb HessenForst für die 5 950 ha Kernflächen der 2. Tranche, Anm. d. Autors] jährlich 1,3 Mio. € zur Verfügung gestellt, um die entgangenen Erlöse zu kompensieren. Damit stellen wir sicher, dass kein ökonomischer Druck auf die verbleibenden Flächen im Staatswald entsteht" (Hmuklv,Pressemitteilung 25.05.2016). Einerseits darf man kritisch hinterfragen, warum das Land Entschädigung für Nutzungsverzicht in seinem eigenen Wald zahlen soll. Anderseits ist eine Verschiebung von Geld zwischen Land und Landesbetrieb mit seinen Landesbediensteten auch nicht wirklich eine neue Ausgabe. In Nordrhein-Westfalen erhält der Landesbetrieb Wald und Holz allerdings nur etwa die Hälfte an Entschädigung (120 €/ha,Woike & Kaiser2014).

Laut dem Bund Deutscher Forstleute bedeuten 100 ha stillgelegter Wald den Verlust von vier bis sechs Arbeitsplätzen (BDFaktuell 11/2016). Dann müssten durch die hessischen Kernflächen 1 000 bis 1 500 Arbeitsplätze verloren gegangen sein – einen Beleg dafür liefert der BDF nicht. Da die Holzernte nicht sinkt und Entschädigungen an den Landesbetrieb HessenForst gezahlt werden, sind Aussagen, dass eine große Zahl von Arbeitsplätzen durch natürliche Waldentwicklung verloren gehen würde, nicht nachvollziehbar. Zudem ist der Personalhaushalt des Landesbetriebs bereits auf einen hohen Anteil kaum genutzter Grenzwirtschaftswälder (W.a.r.B. im hessischen Staats-, Körperschafts- und Gemeinschaftswald 38 670 ha!) und gänzlich nutzungsfreien Wald mit geringerer Beschäftigungsintensität eingestellt.Laut Aussage des Leiters des Landesbetriebs, Michael Gerst, führt die Ausweisung von Kernflächen nicht zu Kündigungen, da Personalabbau nur mittelfristig im Rahmen einer ohnehin vorgesehenen Umstrukturierung erfolgt (mdl. Mitt., 16.03.2016). Bei der Frage der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Forstwirtschaft sollten daher eher die Reformprozesse innerhalb des Landesbetriebs und die Vergabepraxis an ausländische Unternehmen kritisch hinterfragt werden.

Häufig genannte hohe Zahlen von Arbeitsplatzverlusten durch Nutzungsverzicht (FAZ 27.05.2016) beziehen sich auf Berechnungen zum Cluster „Forst und Holz". Allein in Hessen werden diesem Cluster 57 000 Arbeitnehmer in 11 000 Unternehmen zugerechnet. Davon entfallen allerdings lediglich 5 300 auf das Holzgewerbe. Der große Rest mit einem Anteil von gut 90 % arbeitet im Verlags- und Druck-, Möbel-, Schmuck-, Musikinstrumente-, Sportgeräte-, Spielwaren- oder Papiergewerbe ( www.umweltministerium.hessen.de , 13.09.2016).

Der Cluster umfasst also eine sehr heterogene Branche und vereinnahmt auch viele Betriebe, die nicht zwingend auf Holz angewiesen sind. Laut dem Hessischen Statistischen Landesamt hat die Land-, Forstwirtschaft und Fischerei zusammen lediglich einen Anteil von 0,89 % aller Erwerbstätigen in Hessen (2015: 29 700, https://statistik.hessen.de ).

Gerade große natürliche Wälder bieten aber auch Potenzial für neue Arbeitsplätze, z.B. durch fachliche und pädagogische Besucherbetreuung, Umweltbildungsangebote, Umweltforschung, Monitoring, Tourismus und Gastronomie.

5 Versorgungsnotstand?

Schwer nachvollziehbar ist die Angst um die Versorgungssicherheit, wenn nur noch auf 95 % der Waldfläche Holzernte möglich sei. Da wird angekündigt, künftig müssten wir Brennholz „aus Südamerika oder Sibirien kommen lassen" (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Nidda,Rundschreiben 1/16).Der Ernteverlust durch Flächenstilllegung und FSC-Referenzflächen betrage künftig für ganz Deutschland angeblich 7,6 Mio. Erntefestmeter pro Jahr, soSchulzeet al. (2016). Dass diese Rechnung absurd ist, zeigt das Beispiel Hessen, wo trotz des Nutzungsverzichts die geerntete Holzmenge im Staatswald in den letzten zehn Jahren nicht abnahm, sondern von einer sturmbedingten Ausnahme abgesehen recht konstant bei ca. 2 Mio. Efm lag.

Insbesondere die Säge- und Holzindustrie befürchtet eine Holzknappheit durch Flächenstilllegung. Dabei verfügt Deutschland über die größten Holzressourcen in Europa ( www.finanzen.net ). Wenn das 5-%-Ziel vollständig umgesetzt wird, verbleiben immer noch 788 500 ha Wirtschaftswald in Hessen. Das ist immer noch deutlich mehr als in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt oder in ganzen Staaten wie Dänemark, Irland und Belgien, die teilweise sogar selbst den Nutzungsverzicht von Waldanteilen vorantreiben. Es ist daher unglaubwürdig, wenn der Eindruck erweckt wird, es drohe der Niedergang der Säge- und Holzindustrie, wenn der nutzbare Waldanteil um wenige Prozentpunkte sinkt.

Auch in Zukunft bleibt das Rohholzpotenzial laut einer Studie des Bundeslandwirtschaftsministeriums (Thünen-Institut für Waldökosysteme) bis 2052 bei durchschnittlich 77,7 Mio. m³ auf dem gleichen Niveau, wie in den letzten Jahren – und das, obwohl diese Studie bereits 450 000 ha Wälder ohne Nutzung und 489 000 ha mit eingeschränkter Nutzung eingerechnet hat. Es wird bis 2027 deutlich mehr Buche zur Verfügung stehen (+59 %), als laut BWI³ bisher genutzt wurde. Auch im Fallbeispiel Hessen steht bis 2052 mehr Buchenholz zur Verfügung, als vor 2012 genutzt wurde (Bmel2016a). Der Holzvorrat der Laubbäume nahm in Deutschland in der Zeit von 2002 bis 2012 laut Bundeswaldinventur um 14,1 % zu (Hennenberget al. 2015) und wird weiter zunehmen: Insgesamt wird auch von einem weiter ansteigenden Vorrat der Holzartengruppe Buche um 9 % bis 2052 ausgegangen (Holz gesamt: von 345 Vfm/ha auf 364 Vfm/ha,Bmel2016a). Eine Studie der TU München zeigte, dass die Bäume seit den 1960er-Jahren durch Klimawandel und längere Vegetationszeit sowie durch steigende CO2- und Stickstoffkonzentration in der Luft deutlich schneller wachsen: Buchenbestände um 30 %, Fichtenbestände um 10 % (Natur in NRW 4/14, S. 4).

„Aktuell wird etwa ein Drittel des in Deutschland geschlagenen Holzes verbrannt. Werden Sägenebenprodukte, Rest- und Althölzer mitbetrachtet, erhöht sich der Anteil der energetischen Verwendung auf etwa die Hälfte des Holzaufkommens in Deutschland" (Bioökonomierat 2016, Mantau2012).Aus der anderen Hälfte werden zu großen Teilen kurzlebige und Verpackungsprodukte erzeugt. Solange wir uns solch eine Vergeudung von Rohstoff erlauben können, ist Holz nicht knapp. Insgesamt wird mittelfristig eine leicht steigende Nachfrage erwartet. Dies führt trotz leicht sinkender Zuwächse zu keinen starken Veränderungen des Rohholzpotenzials von Laubholz (Dunger & Rock2009). Wer behauptet, Laubholz sei knapp, sollte zunächst den Export hinterfragen. Denn Deutschland ist Netto-Exporteur von Laubholz (Seintsch & Weimar2013). 2015 lag der Import von Laubschnittholz bei 402 000 m³, der Export bei 684 000 m³ ( www.forstpraxis.de , Holzmarktinfo nach Statistischem Bundesamt, 11.03.2016). Diese exportierte Menge übertrifft die gesamte Laubholz-Nutzung von Mecklenburg-Vorpommern (2015: 624 390 m³, Holzeinschlagsstatistik https://de.statista.com , 27.09.2016).

Dem von Forstseite manchmal formulierten Anspruch „Wir müssen die Bedürfnisse der Weltbevölkerung befriedigen" wird ein kleines Land wie Deutschland niemals gerecht werden können. Volkswirtschaftlich ist der Export von Laubholz als Rohstoff und der Reimport der veredelten, teuren Endprodukte fragwürdig. Nach Aussage der Deutschen Säge- und Holzindustrie werden durch den Rundholzexport und die fehlende Weiterverarbeitung rund 6 000 Arbeitsplätze nach Asien verlagert (Desh2013). Eine standortnahe Verwertung würde also die Konkurrenz zwischen Holzindustrie und Naturschutz vermindern.

Ein Problem entsteht erst bei starker Steigerung des Holzverbrauchs: Manche Schätzungen gehen davon aus, dass 2020 am Holzmarkt durch steigenden Verbrauch eine „Versorgungslücke" von rund 30 Mio. m³ pro Jahr in Deutschland entstehen wird (Dbfz2011 in Umweltbundesamt 2016). Daher weist auch die Waldstrategie 2020 der Bundesregierung eine gewünschte Nutzungssteigerung auf rund 100 Mio. m³/Jahr aus. Eine Verschärfung der Konflikte ist durch eine wachsende Bioökonomie (Bsp. Bioraffinerie-Anlagen) zu erwarten. So sind die im September 2016 von einem Beratungsgremium der Bundesregierung vorgelegten Forderungen zur Verringerung des Nutzungsalters und der Absenkung der Holzvorräte (Bioökonomierat 2016) mit der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt und dem Grundsatz der Nachhaltigkeit unvereinbar. Statt einer Intensivierung der Waldnutzung und einer Subventionierung der energetischen Holzverwertung muss die Energieeffizienz gesteigert und die langlebige, stoffliche Nutzung gefördert werden.

Die Sägeindustrie hat in erster Linie ein Interesse an Nadelholz. In den Naturwald-Entwicklungsflächen werden aber ganz überwiegend Laubwälder aus der Nutzung genommen: 87,3 % der hessischen Kernflächen sind Laubholz (HessenForst,schriftl. Mitt. 07.07.2016). Und selbst die geringen Nadelholzanteile können in manchen Kernflächen in einem Übergangszeitraum noch entnommen werden. Es gibt daher keine Konkurrenzsituation zwischen dem Nutzungsinteresse an Buche als Bau- oder Möbelholz und natürlicher Waldentwicklung. Wer Holzmangel durch Naturwälder beklagt, hat daher entweder ein Interesse an einer gesteigerten energetischen Verwertung (Verbrennung) von Holz oder er wünscht sich in den potenziellen Schutzgebieten den Umbau von Buche zu Nadelholz (Abb. 4). Für die Erhöhung von Nadelwaldanteilen bestehen aber auf den übrigen 95 % der Waldfläche noch genügend Möglichkeiten. Die Entwicklung natürlicher Wälder stellt also keine Bedrohung unseres heutigen Lebensstils dar.

6 Verschärfung des Klimawandels?

Es greift auch nicht das gern genutzte Argument, natürliche Waldentwicklung würde den Klimawandel verschärfen. Demnach sei eine langfristige CO2-Reduzierung nur durch mehr Holzprodukte möglich, da im natürlichen Wald nach einer kurzen Phase des Vorratsaufbaus der Zuwachs stagniere und sich ein Gleichgewicht zwischen Wachstum und Verrottung einstellen würde (Old-Growth-Equilibrium-Hypothese vonOdum1969, Krug & Köhl2010). Zahlreiche Analysen haben aber inzwischen belegt, dass Naturwälder Kohlenstoffsenken darstellen, weil sie Kohlenstoffdioxid binden und für mehrere hundert Jahre als Holzvorrat und im Boden festlegen (Luyssaertet al. 2008). In Niedersächsischen Naturwaldreservaten zeigt sich sehr rasch, wie schnell der Holzvorrat in Naturwäldern zunimmt: Die über 40 Jahre bestehenden Gebiete haben häufig Vorratshöhen zwischen 600 und 800 m³ je Hektar (Nw-Fva2015).

In einer aktuellen Meta-Analyse konntenStephensonet al. (2014) zeigen, dass die Wachstumsgeschwindigkeit und damit die Rate der Kohlenstoffbindung mit zunehmendem Baumalter steigt. Als Folge davon können Bäume auch in späten Waldentwicklungsphasen wesentlich mehr atmosphärischen Kohlenstoff in der Biomasse binden als jüngere Bäume (Jacobet al. 2013). Die Verweildauer des Kohlenstoffs ist in natürlichen Wäldern bei weitem länger als in Wirtschaftswäldern (Luyssaertet al. 2008). Hingegen stellt eine zunehmende Intensivierung der Waldnutzung eine Gefahr für die gegenwärtige Leistung als Kohlenstoff-Senke dar (Schulzeet al. 2012). NachKrug & Köhl (2010) ist die Senkenleistung aus Waldbewirtschaftung seit 1990 kontinuierlich gesunken. Prognosen gehen davon aus, dass die Wälder in Deutschland in naher Zukunft aufgrund der weiter steigenden Holznutzung von einer CO2-Senke zu einer CO2-Quelle werden.

Die CO2-Bindung in Holzprodukten wird oft idealisiert dargestellt, denn die CO2-Freisetzung wird hier nur zeitlich verschoben. Das in Holzprodukten gebundene CO2wird nach relativ kurzer Zeit wieder freigesetzt (mittlere Verweilzeit ca. 10-20 Jahre;Mund & Schulze2006). NachProfftet al. (2009) zeigten Untersuchungen in Thüringen, dass nur 22 % der Holzernte als langlebiges Konstruktionsholz (> 50 Jahre) genutzt wurden. Buchenholz, das ja ganz überwiegend in den für Hessen ausgewählten und vorgeschlagenen hessischen Naturwäldern wächst, wird nur zu einem sehr geringen Anteil im Bausektor oder für Möbel verwendet. Laubholz wird zu über 70 % verbrannt (Seintsch2011). Die Bedeutung des nachwachsenden Rohstoffs für den Klimaschutz ist diesbezüglich sehr begrenzt: Selbst wenn wir unser gesamtes Holz verbrennen würden, würde dies beim derzeitigen hohen Energiebedarf nur zu einem Anteil von 5 % der Gesamtenergieproduktion (Wärme, Strom, Treibstoff) beitragen. Daher ist es wirksamer, den Energiebedarf zu senken und das geerntete Holz zu dauerhaften, hochwertigen Produkten zu verarbeiten.

Klimaschutzrelevant ist daher in erster Linie die Substitution anderer, energieintensiver Bauprodukte (wie Aluminium, Stahl, Kunststoff) oder fossiler Brennstoffe. Laut dem Deutschen Forstwirtschaftsrat bedeutet ein Nutzungsverzicht auf 5 % der deutschen Waldfläche den Verzicht auf 4 Mio. m³ Holz pro Jahr. Daraus folgert er, dass dann etwa 3 Mio. Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases CO2nicht gebunden würden (Engelet al. 2016). Angesichts von bundesweit allein 745 Mio. Tonnen energiebedingten CO2-Emissionen (2014, www.umweltbundesamt.de ) ist diese Bindung von Kohlendioxid jedoch nicht der entscheidende Schritt zum Klimaschutz. Viel effektiver wäre die Vermeidung des CO2-Ausstoßes durch die Abschaltung von Kohlekraftwerken: So setzte das Kraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen 32 Mio. Tonnen CO2im Jahr 2015 frei. Da ein Raummeter Buche 844 kg CO2freisetzt (Ammermdl. Göttingen 27.11.2014), müssten 38 Mio. Festmeter Holz jährlich genutzt werden, um nur dieses eine Kohlekraftwerk zu kompensieren, also dreimal so viel Buchenholz, wie heute deutschlandweit geerntet wird. Die politische Halbherzigkeit beim „Klimaschutzplan 2050" der Bundesregierung insbesondere bezüglich des Kohleausstiegs kann nicht mit einer intensivierten Forstwirtschaft zu Lasten der Biodiversität aufgefangen werden.

7 Tropenwaldzerstörung und Raubbau durch Importe aus dem Ausland?

Argumentiert wird auch, die Zulassung von natürlicher Waldentwicklung in Deutschland würde zum Import von Holz aus dem Ausland mit schlechten Standards führen. Jahrzehntelang hätte die Forstwirtschaft auf Autarkie hingearbeitet und werde nun durch den Naturschutz zu Importen mit umweltbelastenden Transportwegen gezwungen. So beklagt die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Hessen: „Wir sollten aufhören immer mehr Wald stillzulegen und somit den Raubbau an den Wäldern der Tropen und der borealen Nadelwälder zu forcieren" (UnserWald 4/2014).„Hier wäre dann ein Raubbau in Urwäldern zu befürchten" (HessenForst 2012,Schulzeet al. 2016).

Importiert werden aber in erster Linie Nadelhölzer (Rohholzimport 2012 bundesweit knapp 4 Mio. m³,Seintsch & Weimar2013), die in den hessischen Naturwaldentwicklungsgebieten mit nur 12 % Flächenanteil enthalten sind. Ein vermehrter Einschlag heimischer Laubwälder würde deshalb nicht zu geringeren Holzimporten aus borealen Nadelwäldern führen. Auch Tropenwaldzerstörung hat nichts mit dem Nutzungsverzicht von Buchenwäldern zu tun. Hauptverursacher der Tropenwaldzerstörung sind die Palmöl- und Sojaproduktion und die „Landgewinnung" für die Viehwirtschaft.

Von 2004 bis 2010 war Deutschland Netto-Exporteur von Holz und Holzprodukten. 2011 und 2012 überwogen geringfügig die Importe (2012 Importe: 124,4 Mio. m³, Exporte: 122,8 Mio. m³, Rohholzäquivalente,Seintsch & Weimar2013).Schulzeet al.(2016) rechnen vor, dass Holzimporte verwerflich seien, weil dort wegen schlechter forstwirtschaftlicher Standards nur eine Ernte von 50-100 Efm pro Hektar den Holzmarkt erreichen würden, bei uns deutlich mehr. Nicht begründet wird dabei, wie denn andere Regierungen dazu gebracht werden sollen, auf naturgemäßen Waldbau umzuschwenken, wenn wir unsere Holzimporte beenden. Nicht die Intensivierung der Waldnutzung in Deutschland dient dem Schutz von Urwäldern und der Verbesserung von forstwirtschaftlichen Standards im Ausland, sondern eine vorbildliche, glaubwürdige Entwicklung natürlicher Wälder bei uns, eine wirklich nachhaltige Nutzung der bewirtschafteten Wälder und aufgeklärte Verbraucher. Denn es liegt in unserer Hand, welches Holz aus welchen Standards wir importieren.

8 Wildnis nicht erreichbar?

Manche Kritiker legen hohe Maßstäbe an: Wildnis wie in Amerika mit Bären und Wisenten sei in Deutschland nicht erreichbar und damit eine natürliche Waldentwicklung bei uns generell sinnlos.Guttenberg (2016)sagt: „Urwald bei uns ist künstlich", dabei trifft diese Beschreibung wohl eher auf die Forstwirtschaft zu. Dabei wird verkannt, dass wir eine globale Verantwortung für die Entwicklung und Erhaltung von natürlichen Ausprägungen der Rotbuchenwälder haben, deren Verbreitungsareal zu einem Viertel in Deutschland liegt. Nicht nur gegenüber der Welt, sondern auch gegenüber nachfolgenden Generationen. Nicht umsonst gibt es das UNESCO-Weltnaturerbe „Buchenurwälder der Karpaten und Alte Buchenwälder Deutschlands", welches deutlich macht, dass wir für unsere Buchenwälder die gleiche Verantwortung haben wie Australien für das Great Barrier Reaf. So wie wir von anderen Ländern den Schutz von tropischen Regenwäldern oder Savannen einfordern, so ist es ein Gebot der globalen Gerechtigkeit, dass auch Deutschland als eines der reichsten Länder auf die wirtschaftliche Nutzung eines kleinen Anteils seines Landes verzichtet (Sru2016). Die Glaubwürdigkeit Deutschlands in Sachen Naturschutz steht hier auf dem Spiel. Ab einer Größe von über 1 000 ha können Gebiete auch in Deutschland die Mindestkriterien für Wildnisgebiete (Fincket al. 2015) erfüllen. Mit dem Anstoß der Entwicklung großer natürlicher Wälder (Harthun2017a, b)geben wir künftigen Generationen die Chance zum Erleben einer biologischen Vielfalt, von natürlichen Prozessen und Ökosystemleistungen, die unserer Generation in Deutschland leider verwehrt geblieben ist.

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Kontakt

Dipl.-Biol. Mark Harthun arbeitet seit 1997 beim Naturschutzbund Deutschland, Landesverband Hessen, als Naturschutzreferent und stellvertretender Geschäftsführer. Studium der Biologie an der Philipps-Universität Marburg. Themenschwerpunkte: natürliche und naturnahe Waldentwicklung, europäisches Naturschutzrecht, Artenschutz, natürliche Gewässerentwicklung.

Mark.Harthun@NABU-Hessen.de

Fazit für die Praxis

Natürliche Waldentwicklung stellt keine Gefahr dar – weder für die Natur, noch für unseren Wohlstand. Angesichts des Klimawandels sind ungenutzte Wälder wichtig, um natürliche Veränderungen der Baumartenzusammensetzung beobachten zu können. Für eine Steigerung der Artenvielfalt in Deutschland ist es nötig, Buchenwälder in Naturschutzgebieten uralt werden zu lassen und auf forstliche Eingriffe zu verzichten. Naturwaldentwicklung kann so über Jahrhunderte zur CO2-Bindung und damit zum Klimaschutz beitragen. Gemeinsam mit Maßnahmen zur Dekarbonisierung lässt sich Klimaschutz so effizienter umsetzen als durch intensivere Holznutzung (Substitution). Die Politik sollte diese Chance ergreifen: Bäume wachsen heute durch CO2,NOxund höhere Temperaturen schneller als früher. Die Holzernte ist in den letzten Jahren trotz der Ausweisung von Naturwäldern gestiegen, nicht gesunken. Die Holzvorräte nehmen zu. Allerdings muss die Gesellschaft auch gegensteuern: Statt einer Steigerung des Holzverbrauchs auf 100 Mio m3/Jahr sollte die Subventionierung der energetischen Holzverwertung vermindert, die Energieeffizienz gesteigert und die langlebige, stoffliche Nutzung gefördert werden.

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