Die Ergebnisse der dritten Bundeswaldinventur (BWI³) aus Naturschutzsicht – Alles im „grünen“ Bereich?
Alles bestens im deutschen Wald! Alles im grünen Bereich! Hinter der betont optimistisch-positiv anmutenden Gesamtbewertung der Ergebnisse der dritten Bundeswaldinventur (BWI³) durch den zuständigen Bundesminister im nebenstehenden Textkasten leuchtet unmissverständlich eine solche politische Botschaft. Trifft das aber wirklich zu?
- Veröffentlicht am
Von Norbert Panek
Legt man naturschutzfachliche Kriterien zugrunde, führt eine gründliche Analyse und Bewertung der ins Netz gestellten Inventurdaten ( https://bwi.info/ ) rasch zu der Erkenntnis, dass jenseits aller Beschwichtigungsparolen der naturschutzfachliche Zustand der Wälder in Deutschland teilweise besorgniserregend ist. Letztendlich sind die BWI³-Daten ein Spiegel der aktuell rasant fortschreitenden „Industrialisierung“ unserer Wälder zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Interessen.
4 % weniger Nadelhölzer
Zunächst ist festzuhalten, dass weit über die Hälfte (54 % ) der deutschen Waldfläche mit nicht standortheimischen Nadelhölzern bestockt ist, wobei wiederum etwa 50 % dieser Nadelbaumflächen immer noch aus Reinbeständen aufgebaut sind, Fichten und Kiefern mit 47 % dominieren und die Douglasie mit einem momentanen Anteil von 2 % stark zunimmt. Laut BWI wachsen im deutschen Wald insgesamt 51 Baum-Arten. Schon auf etwa 90 % der Holzbodenfläche kommen aber nur noch elf Baum-Arten vor. Die vier häufigsten Nutzbäume Fichte, Kiefer, Buche und Eiche bedecken fast 75 % des Holzbodens (Abb. 1).
Der Anteil der Laubbaumbestände im deutschen Wald umfasst 4,73 Mio. ha oder 43 % , wobei der relativ hohe Anteil der Pionierbaum-Arten (= Laubbäume niedriger Lebensdauer) hervorsticht. Er liegt mit 10 % etwa ähnlich hoch wie der Eichen-Anteil. Zu erklären ist dies durch die relativ hohen Anteile von Windwurf- und Kalamitätsflächen, die sich in der Anfangsphase der Sukzession befinden. In den jüngeren Baumaltersklassen bis 60 Jahre liegt der Anteil der Gruppe kurzlebiger Baumarten (Birke, Weide, Aspe etc.) sogar bei fast 20 % ! Markant ist außerdem der Rückgang der Fichtenfläche um rund 242000ha. Insgesamt ist der Nadelbaum-Anteil im Erhebungszeitraum (2002 bis 2012) um rund 4 % gesunken, allerdings nicht etwa durch gezielten Waldumbau, sondern hauptsächlich durch Windwurfkatastrophen. Erhöhte Anteile von kurzlebigen Pionierbaum-Arten und signifikant hohe Verluste bei den nicht standortheimischen Nadelbäumen sind klare Zeichen des Klimawandels, der weiter verstärkt zu einer natürlichen Verdrängung nicht angepasster Baumarten führen wird.
„Deutschland ist mit 11,4 Millionen Hektar zu einem Drittel bewaldet. Die dritte Bundeswaldinventur (BWI³) liefert erfreuliche Nachrichten: Unsere Waldfläche ist konstant geblieben. Es wächst mehr Holz nach, als wir nutzen. Zudem haben wir mehr davon als jedes andere Land der Europäischen Union. Der Vorrat im Wald ist trotz hoher Nutzung auf 3,7 Milliarden Kubikmeter angestiegen. 90 Milliarden alte und junge Fichten, Kiefern, Buchen, Eichen und seltenere Baumarten prägen das Gesicht des deutschen Waldes. Der Anteil der Laubbäume ist gestiegen. Die Wälder sind vielfältiger und naturnäher strukturiert. Wir finden mehr Totholz – eine wichtige Grundlage fur Biodiversität.
Der gute Zustand des Waldes ist das Ergebnis waldbaulichen Handelns vieler Waldeigentumer und Förster und das Ergebnis einer Waldpolitik, die auf Balance und Nachhaltigkeit setzt und Verantwortung auf viele Schultern verteilt“.
Zitat: Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Quelle: http://www.bmel.de/DE/Wald-Fischerei/Waelder/-texte/Bundeswaldinventur_Dossier.html
Fast 90 % des Zuwachses genutzt
Seit der letzten Erhebung hat die Nutzungsintensität im deutschen Wald weiter erheblich zugenommen. Laut BWI lag der Zuwachs des Holzvorrats durchschnittlich bei rund 122 Mio. m³ pro Jahr, der so genannte „ausgeschiedene“ Bestand (genutzter Vorrat einschließlich natürliche Abgänge und Ernteverluste) bei rund 106 Mio.m³ pro Jahr. Das sind fast 90 % des Zuwachses! Damit werden die Spielräume für die natürlichen Entwicklungspotenziale im Wald weiter massiv eingeschränkt.
Interessant aus Naturschutzsicht sind Erhebungsmerkmale, aus denen indirekt Rückschlüsse auf die Naturnähe von Wäldern gezogen werden können. Die Anteile alter (dicker) Bäume und Totholz-Strukturen sind wichtige Schlüssel-Elemente für Naturnähe und damit für die natürliche Biodiversität von Wäldern. Erstmalig wurden im Rahmen der BWI auch Bäume „mit ökologisch bedeutsamen Merkmalen“ erfasst. Eingriffe wie z.B. Waldpflege- und Holzerntemaßnahmen beeinträchtigen die natürlichen Entwicklungsprozesse und verhindern die Ausformung natürlicher Waldstrukturen. Die Auswirkungen dieser Eingriffe lassen sich anhand der BWI-Ergebnisse gut belegen.
80 % naturferne Wälder
Die BWI hat die Baumartenzusammensetzung des deutschen Waldes erhoben und sie standortbezogen mit der Potenziellen Natürlichen Vegetation (PNV) verglichen. Danach stimmen 36 % der Waldbestände (= 3,89 Mio. ha) in ihrem Baumartenspektrum weitgehend mit der PNV überein und sind demzufolge als „naturnah“ bis „sehr naturnah“ eingestuft. Allerdings ist diese Zahl mit Vorsicht zu genießen, denn laut BWI-Definition können als „naturnah“ bewertete Waldbestände bis zu einem Anteil von 30 % ausländische Baumarten enthalten und nur zu 75 % aus Baumarten der jeweiligen natürlichen Waldgesellschaft bestehen. Im Rahmen der offiziell vom Bundesamt für Naturschutz herausgegebenen PNV-Kartierung wurden lediglich knapp 20 % der deutschen Waldfläche (2,06 Mio. ha) als „naturnah“ eingestuft. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenigstens 80 % der Wälder Deutschlands sind in ihrem gegenwärtigen Zustand mehr oder weniger naturfern.
Der deutsche Wald ist ein junger und in weiten Teilen ein „unreifer“ Wald. Der Anteil der unter 60-jährigen Baumbestände liegt bei fast 50 % der Gesamtwaldfläche. Wirklich alte Waldbestände sind Mangelware. Der Anteil an der Baumaltersklasse über 160 Jahre liegt bei gerade 3,2 % (Tab. 1), der Anteil in den Buchen- und Eichenbeständen bei jeweils knapp über 1 % . Das fast vollständige Fehlen alter, fortgeschrittener Waldentwicklungsphasen vor allem in laubwald-betonten Wirtschaftswäldern ist aus Naturschutzsicht als dramatisch zu bezeichnen.
Starke Bäume fehlen
„Naturnahe“ Wälder sind durch einen permanent hohen Massenanteil starker Bäume gekennzeichnet. Im Wirtschaftswald weisen z.B. Buchen einen Brusthöhendurchmesser (BHD) von maximal 70cm auf, im Urwald hingegen von bis 150 cm! Die BWI-Daten belegen eindrucksvoll, dass „dicke“ Bäume mit BHD von mehr als 70cm nur 0,3 % des Gesamtbaumbestands ausmachen. Im statistischen Schnitt wächst im deutschen Wald pro Hektar lediglich ein Baum, der einen solchen BHD aufweist. Der Vorrat dieser über 70cm starken Bäume umfasst über alle Baumaltersklassen hinweg gerade 15m³/ha (= 4,5 % vom Gesamtvorrat aller BHD-Stufen). Die offizielle Aussage, dass im deutschen Wald „mehr dicke Bäume“ wachsen, relativiert sich damit entscheidend.
Hervorgehoben wird auch immer wieder, dass der Trend im deutschen Wald in Richtung Mischwald gehe. Der Anteil der „Mischwälder“ würde aktuell bei 76 % liegen. Ein Wald gilt laut BWI-Definition schon als gemischt, wenn lediglich zwei Baumgattungen darin vorkommen und der Mischungsanteil für eine Baumgattung mindestens 10 % beträgt. Laut dieser Definition gilt also ein Nadelwald schon als „gemischt“, wenn nur 10 % Laubhölzer darin vorkommen. Tatsächlich weisen Fichten- und Kiefernbestände laut Inventur die geringsten Mischungsgrade auf.
Erfasst wurden auch so genannte Biotopbäume (die besondere, ökologisch bedeutsame Merkmale aufweisen). Die Hochrechnung ergibt laut Inventur einen Gesamtbestand von 93 Mio. Bäumen dieser Kategorie, darunter 22 Mio. Specht- bzw. Höhlenbäume und 741000 Horstbäume, auf denen Großvögel brüten. Interessant ist, dass in der Hochrechnung nur etwa 1 Mio. Biotopbäume eine entsprechende Kennzeichnung aufweist. Das bedeutet, dass nur ein Bruchteil (1 % ) der Bäume mit ökologisch relevanten Merkmalen in den Forstbetrieben tatsächlich erfasst und markiert werden. Ein desaströses Ergebnis für den von Forstseite so gepriesenen „integrativen“ Naturschutz!
Unzureichender Schutz
Laut BWI-Erhebung unterliegen 91 % der Holzbodenfläche Deutschlands keinerlei Nutzungseinschränkungen (Abb. 2). Eingeschränkte Holznutzung findet lediglich auf 8,6 % der Holzbodenfläche statt, davon ist die Nutzung laut BWI-Definition auf 4,1 % (= 450440ha) komplett unzulässig oder „nicht zu erwarten“. Die Fläche, auf der in erster Linie aus Naturschutzgründen eine Holznutzung nicht zulässig (oder nicht zu erwarten) ist, umfasst allerdings nur 149660 ha.
Im Rahmen der Inventur wurden auf 593000 ha (5 % der Waldfläche) zudem „besonders geschützte Biotope“ erfasst. Davon umfassen „waldtypische“ Biotope lediglich eine Fläche von 393000ha. Dabei handelt es sich zu 80 % um Wälder auf Feuchtstandorten (Bruch-, Moor-, Auenwälder). Geschützte höhlenreiche Altholzinseln nehmen hingegen lediglich 797ha ein. Der Anteil der Schlucht- und Hangschuttwälder sowie der Wälder trockenwarmer Standorte umfasst immerhin rund 63400ha. Zu beachten ist: Die meisten dieser als „besonders geschützt“ deklarierten Flächen unterliegen einer normalen forstwirtschaftlichen Nutzung!
Die Auswertung verdeutlicht, dass der deutsche Wald insgesamt unzureichend geschützt ist. Der Anteil der Waldflächen, auf denen eine ungestörte natürliche Entwicklung stattfinden kann, ist nach wie vor so gering, dass eine langfristige Sicherung der biologischen Vielfalt im Wald nicht gewährleistet ist.
Statistiktrick beim Totholz
Wenig plausibel erscheinen auch die Angaben zu den Totholz-Vorräten im deutschen Wald. Laut BWI sind es durchschnittlich 20,6 m³/ha. Bei der vorletzten Inventur (2002) lag der Vorrat bei 11,6 m³/ha. Die erhebliche Zunahme kommt durch den zusätzlich erhobenen Anteil von Totholz der Durchmesserklasse 10–20 cm zustande. Die Zunahme des Totholzvorrats im Bezugszeitraum wird von offizieller Seite generalisierend als eine der wichtigsten positiven Entwicklungstrends hinsichtlich Naturnähe und ökologischer Funktionsfähigkeit des Waldes herausgestellt.
Eine genauere Analyse der Bundeswaldinventur-Daten zum Totholzvorrat in unseren Wäldern ergibt aber ein alarmierendes Gesamtbild.
Der Anteil der Baumartengruppe Nadelbäume am Totholzvorrat von 20,6 m³/ha beträgt laut BWI³ ca. 70 % ! Nur ein knappes Drittel verbleibt für ökologisch bedeutsameres Totholz aus Laubbäumen.
Naturschutzfachlich bedeutsamen Totholz-Durchmesserklassen über 40cm haben einen Anteil von nur ca. 30 % an der Gesamt-Totholzmenge.
Allein der Anteil der in der Erhebung mit erfassten, ökologisch eher funktionsarmen Abfuhrreste und Wurzelstöcke („Baumstümpfe“) beträgt weit über ein Viertel des gesamten Totholzvorrats.
Der Vorrat im liegenden und stehenden Totholz hat sich im Erfassungszeitraum 2002–2012 in den ökologisch bedeutsamen Durchmesserklassen um insgesamt rund 4 Mio. m³ verringert. Dabei ist der Rückgang beim Laubholz im Vergleich zum Nadelholz alarmierend.
Ein großer Teil des Totholz-Zuwachses seit 2002 ergibt sich aus den gigantischen Mengen an Windwurfholz von Nadelbäumen. Diese Windwurf-induzierte Steigerung des Totholzvorrats beschränkt sich aber im Wesentlichen auf ökologisch weniger bedeutsame Totholztypen wie Schlagabraum, Bruchholz und Baumstümpfe.
Die Zahlen der BWI³ belegen, dass der durchschnittliche Totholzvorrat der Wälder Deutschlands nur zu einem geringen Anteil wertvolle Habitat-Funktionen erfüllt. Der tatsächlich naturschutzfachlich wirksame Anteil dürfte sich, bezogen auf anspruchsvolle Zielartengruppen wie z.B. Totholzkäfer und Pilze, somit bundesweit im Bereich von nur ca. 5 bis 8m³/ha bewegen. Standard im Wirtschaftswald sollten mindestens 30 bis 40 m³/ha sein. Der derzeit bestehende Totholzvorrat ist sowohl quantitativ wie auch qualitativ nicht geeignet, die Lebensraumfunktionen für gefährdete Arten auf Dauer zu erfüllen. Es fehlen zudem ausreichend große Räume mit Totholz-Konstanz und Habitat-Tradition.
Biodiversität nicht wirksam erhalten
Daraus folgt, dass sich das Ziel „Erhaltung der Biodiversität“ im derzeit bewirtschafteten Wald mit den aktuellen Bewirtschaftungsmethoden kaum verwirklichen lässt. Bestehende Programme zur Tot- und Biotopholz-Anreicherung reichen zur Zielerfüllung offensichtlich nicht aus. Gleichzeitig führt die Intensivierung der Holznutzung dazu, dass die Entwicklungsspielräume für natürliche Prozesse im Wald immer stärker eingeengt werden und die Grenze der „ökologischen Nachhaltigkeit“ längst überschritten ist. Das permanente, offizielle „Schönreden“ der Waldzustände sollte endlich aufhören. Die teilweise erschreckenden Ergebnisse der Waldinventur zum Faktor „Totholz“ und zu den Altwald-Anteilen erfordern ein rasches Umdenken und tiefgreifendes Hinterfragen der bisherigen Wirtschaftsweise im deutschen Wald. Wann wacht die Politik endlich auf?
Kontakt
Norbert Panek, Dipl.-Ing. Landespflege
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.