Rückbau der alten Papierfabrik in Tannroda (Thüringen)
Abstracts
Der Beitrag weist auf die besondere artenschutzrechtliche Problematik von Abrissvorhaben im Innenbereich hin, bei denen die Notwendigkeit der Anwendung der Eingriffsregelung nicht besteht. Dabei wird am Fallbeispiel einer ehemaligen Papierfabrik im Ilmtal (Freistaat Thüringen) erörtert, dass die infolge der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie erforderliche Prüfung der Verbotstatbestände nach § 44 BNatSchG oft nur schwer mit zeitlichen Sachzwängen (hier: Verfügbarkeit von Fördermitteln) zu vereinbaren ist.
Das Fallbeispiel beschreibt die unter Annahme eines „worst-case-Szenarios“ letztlich erfolgreiche Durchführung des Renaturierungsvorhabens bei gleichzeitiger Realisierung eines Maximums an CEF-Maßnahmen. Letzteres wird hier zwar am Beispiel der alten Papierfabrik erörtert, das Vorgehen sollte aber nicht zuletzt zugunsten der öffentlichen Akzeptanz keinesfalls als vorbildlich verstanden werden.
Deconstruction of the Old Paper Mill in Tannroda (Federal State of Thuringia) – Renaturation challenge for both species conservation and planning
The paper points out the particular species conservation problems of deconstruction projects in inner cities which aren’t subject of the impact regulation. Using the example of the former paper mill in the valley of the River Ilm in Thuringia the study points out that the assessment of the prohibitory provisions which is necessary according to §44 of the German Federal Nature Conservation Act, due to Habitats and Birds Directive, often conflicts with time constraints (here: availability of subsidies). Assuming a ”worst-case-scenario“ the case study describes the finally successful implementation of the renaturation which at the same time integrated a maximum of CEF measures. The paper illustrates this approach but the amount of CEF measures should not be perceived as exemplary, particularly in view of public acceptance.
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1 Einführung und Hintergründe
Die ehemalige Papierfabrik in Tannroda, bis Anfang der 1990er-Jahre wichtigster Arbeitgeber des an Ilm und Schwarza gelegenen Städtchens ca. 15 km südlich von Weimar, unterlag jahrelang dem Zerfall. Seit 1993 ungenutzt und seit 2006 – nach der Insolvenz des letzten Investors – ohne Eigentümer, stellte der stattliche Gebäudekomplex, wie viele ähnliche Fälle in Ost- oder Westdeutschland, eine erhebliche kommunale Belastung und städtebauliche Herausforderung dar. Dringender Handlungs- und Sanierungsbedarf erwuchs aus der problematischen umwelttechnischen Situation (betriebs- und anlagenbedingte Altlasten), aus der inselartigen, allseits von Fließgewässern umgebenen Auenlage (Hochwassergefährdung) und aus dem Umstand, dass das Gelände unterdessen zu einem beliebten „Abenteuerspielplatz“ geworden war.
Aufgrund dieser kritischen Konstellation zeichnete sich recht frühzeitig eine Renaturierung als Planungsziel ab. Einer Umsetzung standen zunächst jedoch die erheblichen, für eine kleine Kommune untragbaren Kosten im Wege. Erst die Einbindung in die Projektinitiative des Freistaates Thüringen „GENIAL zentral – Entwicklung innerstädtischer Brachflächen“ ( http://www.thueringen.de/de/genialzentral/ ) und damit zusammenhängend die Bereitstellung von Mitteln aus der „Förderrichtlinie Revitalisierung“ des Thüringer Ministeriums für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz (TMLFUN 2007) schuf den finanziellen und organisatorischen Rückhalt für die erfolgreiche Realisierung des Vorhabens. Im Rahmen der genannten Richtlinie gewährt der Freistaat Thüringen aus Mitteln des operationellen Programms EFRE Zuwendungen zur Förderung der Revitalisierung brach gefallener Flächen und Standorte und zu deren Neugestaltung mit dem Ziel der Rückgewinnung von Landschafts- und Siedlungsräumen und der Verbesserung der Umweltqualität. Gefördert werden Modellvorhaben mit landesweiter Bedeutung und deren wissenschaftliche Begleitung.
Die beispielhafte Sanierungsproblematik führte nach einer eher hindernisreichen Beantragung durch die Stadt Bad Berka als Vorhabensträgerin schließlich zu einer Gewährung von Fördermitteln in beachtlicher Höhe. Die Steuerung des anspruchsvollen Projekts wurde der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH & Co. KG (DSK) übertragen, einem bundesweit tätigen Entwicklungs- und Sanierungsträger in der Stadtentwicklung und Siedlungsplanung. Detailplanung und Bauüberwachung sowie die Erstellung hydrologischer und faunistischer Gutachten übernahmen mehrere spezialisierte Ingenieurbüros und Fachgutachter. Die wissenschaftliche Begleitung des Vorhabens leistete die FH Erfurt.
2 Die Papierfabrik, ihr Standort und das Vorhaben
Vor dem Rückbau waren auf dem 1,4 ha großen Areal mehrere große, leerstehende Gebäude vorhanden. Neben der mehrstöckigen, kathedralenartigen Produktionshalle (sog. Stoffaufbereitung), gelegentlich euphorisch auch als „schönste Industrieruine Thüringens“ bezeichnet, gehörten dazu ein villenartiges Wohn- und Verwaltungsgebäude, ein Fachwerkbau mit Küche und Speisesaal, weiter Versandlager, Schlosserei, Trafostation, Dieseltankstelle und ein altes Kesselhaus. Neben dem hohen Versiegelungsgrad durch Bebauung sowie Wege und Lagerplätze aus Betonplatten (rund 70 %) war das Areal großflächig durch Auffüllmassen aus grobkörnigem Beton- und Ziegelbruch, Bauschutt und Aschegrus geprägt.
Der gesamte Bereich der ehemaligen Papierfabrik war im Thüringer Altlasteninformationssystem (THALIS) als altlastenverdächtige Fläche nach § 2 Abs. 6 BBodSchG registriert. Insgesamt hatten Vorerkundungen neun Altlastenverdachtsflächen ergeben, bei denen eine Grundwassergefährdung durch Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW) und Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) zu befürchten war. Aufgrund der Lage des Areals in einer komplizierten geologisch-hydrologischen Situation (Überschwemmungsgebiet, Trinkwasserschutzzone III) ergab sich ein dringender Sicherungs- bzw. Sanierungsbedarf.
Eine besondere Herausforderung stellte der Abriss der Gebäude mit ihren unterschiedlichsten Baustoffen (Holz, Metall, Beton, Ziegelmauerwerk etc.) dar (Abb. 1 und 2). Aufgrund der sensiblen Lage der Fläche im Auenbereich am Zusammenfluss zweier natürlicher Fließgewässer und zwei Mühlgräben waren potenziell erhebliche Beeinträchtigungen der Schutzgüter während der Abrissphase zu erwarten. Somit waren entsprechende Schutzmaßnahmen zu treffen (Vermeidung von Gewässerverschmutzung durch Bau- und Betriebsstoffe; Schutz der Auwaldgehölze vor mechanischen Verletzungen etc.). Daneben erwiesen sich einige der verwendeten Baustoffe als Sondermüll (z.B. Dacheindeckungen aus Wellasbest). Der Abbruch der Gebäudestrukturen musste selektiv und kontrolliert erfolgen, eine Forderung, die beim Rückbau der ehemaligen Stoffaufbereitung wegen der dort zu zerlegenden massiven Betonstrukturen allerdings nicht einzuhalten war. Hier war u.a. auch wegen des schmalen Zeitkorridors eine Sprengung nicht zu umgehen.
Als ebenso problematisch wie die umwelttechnischen Fragen erwiesen sich die durch eine Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamtes Weimarer Land vom 15.04.2010 in den Fokus gerückten Lebensraumfunktionen der leer stehenden Gebäude sowie einzelner baulicher Elemente (z.B. Brücken), u.a. für besonders geschützte Arten, namentlich Fledermaus- und Vogelspezies.
3 Artenschutzrechtliche Problematik von Abrissvorhaben im Innenbereich
Im Zusammenhang mit der Abrissgenehmigung der ehemaligen Papierfabrik war rein rechtlich (§ 18 Abs. 2 BNatSchG) die Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nicht erforderlich, da das Gelände gemäß Flächennutzungsplan der Stadt Bad Berka im baurechtlichen Innenbereich nach § 34 BauGB, also innerhalb der zusammenhängenden Bebauung Tannrodas, liegt. Entsprechend wurde im Zuge der Beantragung der Abrissgenehmigung auf eine nähere Analyse der Schutzgüter des Landschaftsraumes, wie beispielsweise im Rahmen eines LBP oder GOP, verzichtet. In der ausführlichen Stellungnahme des Umweltamtes vom 15. 04.2010 wurde jedoch auf die Altlastenproblematik sowie die Beachtung der Artenschutzbelange gemäß § 44 BNatSchG hingewiesen.
Somit war spätestens ab diesem Zeitpunkt dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich die leerstehenden Industriegebäude und die beiden Ilmbrücken in der Zwischenzeit zu potenziellen Lebensräumen, auch von besonders geschützten Arten, entwickelt haben konnten und durch den Abriss der Gebäude und Brücken somit negative Auswirkungen auch auf besonders geschützte Arten und deren Lebensstätten im Sinne des Umweltschadensgesetzes (gemäß §19 BNatSchG) zu erwarten waren. In Ufernähe der Ilm war zudem unter naturnahen Bedingungen ein Erlen-Eschenwald herangewachsen, nach Thüringer Naturschutzgesetz (§ 18) ein gesetzlich geschütztes Biotop. Auch diese Lebensräume wurden durch den Abriss massiv gefährdet.
Infolgedessen galt es, im Rahmen der anvisierten städtebaulichen Sanierungsmaßnahme mit dem Ziel einer großräumigen Renaturierung des Standortes fortan die besonderen artenschutzrechtlichen Bestimmungen des § 44 BNatSchG zu berücksichtigen. U.a. durch Beobachtungen der örtlichen Naturschutzverbände bestand der dringende Verdacht, dass durch den Abriss der Gebäude die Verbotstatbestände des § 44 hätten tangiert werden können. Insbesondere galt das für Teile der Gebäudesubstanz, die sich in ihrer Struktur als Lebensstätten für die nach Anhang II und IV der FFH-Richtlinie besonders geschützten Fledermäuse eigneten (u.a. Großes Mausohr, Myotis myotis) bzw. bereits als solche genutzt wurden. Auch Artennachweise im Landschaftsinformationssystem des Landes Thüringen (LINFOS) aus dem Jahr 2005/2006 unterstützten laut der Stellungnahme des Umweltamtes vom 15.04.2010 diesen Verdacht.
Da nicht zuletzt auch im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Vorhabens auf die besondere rechtliche Problematik dieses Sachverhaltes hingewiesen worden war, wurde sehr kurzfristig im Sommer 2010 eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP) eingefordert, deren Erkenntnisse den geplanten Abrissbeginn im Herbst 2010 in Frage stellten.
4 Besondere Herausforderungen der saP bei ungenügend geklärten Daten zum Bestand
Da eine ordnungsgemäße Kartierung der Flora und Fauna wegen des vorgegebenen engen Zeitrahmens nicht mehr möglich war, bildeten Archivdaten der Landes- und Landkreisverwaltung die wichtigste Grundlage für die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung. Außerdem erfolgten Begehungen durch die involvierten Artenspezialisten (Fledermäuse und Avifauna), um zumindest, soweit möglich, die zu diesem Zeitpunkt noch anzutreffenden Arten zu erfassen und die vorhandenen baulichen Strukturen hinsichtlich ihrer Eignung als mögliche Lebensstätten zu bewerten. Im Ergebnis wurde der Betroffenheitsschwerpunkt der Spezies Fledermäuse und Brutvögel bestätigt, so dass alle weiteren Aktivitäten hinsichtlich Minderung und Kompensation der Eingriffe auf diese ausgerichtet wurden.
Insbesondere boten sich die leer stehenden Gebäude des Geländes als Fledermaus-Quartiere an. Schon seit 2005 war bekannt, dass im dreistöckigen Gebäude der Stoffaufbereitung mit seinen Winkeln, Nischen, Hohlräumen und Kellern an verschiedenen Stellen im Sommerhalbjahr Große Mausohren lebten. Auch im Jahr 2010 wurden hier bis zu drei Tiere beobachtet. Eine Abfrage des landesweiten Fledermausdatenspeichers an der Koordinationsstelle für Fledermausschutz ergab, dass in einem Gebiet von 5 km Radius um Tannroda allein sechs Arten vorkommen, die alle auch in bzw. an den Gebäuden der ehemaligen Papierfabrik entsprechende Strukturen als Quartiere hätten nutzen können, u.a. Kleine Bartfledermaus (Myotis mystacinus), Fransenfledermaus (Myotis nattereri), Braunes Langohr (Plecotus auritus), Graues Langohr (Plecotus austriacus) und Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus).
Unter Berücksichtigung der Mobilität der Tiere und damit verbunden einer geringfügigen Erweiterung des Betrachtungsradius‘ hätten auch weitere Arten wie Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus), Große Bartfledermaus (Myotis brandti), Wasserfledermaus (Myotis daubentoni), Großer Abendsegler (Nyctalus noctula) und Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus) durchaus auf dem Gelände vorkommen können.
Da durch die fehlende Kartierung der Arten und ihrer Quartiere im Projektbereich keine belastbaren Daten zu den tatsächlich anzutreffenden Arten und insbesondere der möglichen Annahme von Quartieren bzw. Lebensstätten vorlagen, konnte eine potenzielle oder tatsächliche Betroffenheit infolge des Rückbaus der Papierfabrik nicht ausgeschlossen werden. Nach einer kursorischen Betrachtung war jedoch die Möglichkeit der Erfüllung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände nach § 44 BNatSchG eingrenzbar auf die Möglichkeit der Zerstörung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten. Die Erfüllung des Tötungs- oder Störungstatbestands erschien nach Abschätzung aller Maßnahmen unwahrscheinlich.
Durch die Begehungen der Experten konnten dann namentlich im Fall der oben genannten Stoffaufbereitung auf allen oberirdischen Ebenen mehr oder weniger häufig frequentierte Spaltenquartiere nachgewiesen werden, die z.B. als Mausohr-Männchenquartier dienten. Eine Nutzung des Kellerbereichs als Winterquartier konnte zumindest in Teilbereichen wahrscheinlich gemacht werden. Bei Annahme des „worst case“ war auch eine Nutzung des Gebäudes bzw. von Teilen als Mausohr-Wochenstube denkbar.
Bezüglich der Brutvögel, für die eine ordnungsgemäße Kartierung im Projektbereich nicht durchgeführt werden konnte, erfolgte eine, wenn auch späte Begehung im Juli. Dabei wurden immerhin noch 13 Arten wie Mehl- und Rauchschwalbe (Delichon urbicum, Hirundo rustica) sowie Mauersegler (Apus apus) als in bzw. an dem Hauptgebäude der Fabrik brütend festgestellt bzw. ein Brutverhalten dort wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen. Auch für den Turmfalken (Falco tinnunculus) war eine potenzielle Betroffenheit nicht vollkommen auszuschließen. Außerdem wurde unter einer der Ilmbrücken ein Niststandort der Wasseramsel (Cinclus cinclus) festgestellt.
Weitere ca. 40 Arten wurden nach einer ersten Einschätzung als potenziell im Wirkraum vorhanden eingestuft, darunter Gebirgsstelze (Motacilla cinerea) und Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros). Eine tatsächliche oder potenzielle Betroffenheit durch den möglichen Verlust des Brutplatzes bestand aber auch für Bachstelze (Motacilla alba), Blaumeise (Parus caeruleus), Feldsperling (Passer montanus), Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus), Grauschnäpper (Musciapa striata), Haussperling (Passer domesticus), Kohlmeise (Parus major), Star (Sturnus vulgaris) und Zaunkönig (Troglodytes troglodytes), wobei eine signifikante Betroffenheit vor allem für die strikt siedlungs- bzw. gebäudegebundenen Brutvogelarten anzunehmen war.
Da durch die Fördermodalitäten der Zeitplan der Maßnahme fest vorgegeben und eine fachlich ordnungsgemäße Erfassung der Fledermäuse und Brutvögel im betreffenden Zeitraum nicht mehr möglich war, wurde für den Rückbau der Papierfabrik durch die Untere Naturschutzbehörde eine ökologische Baubegleitung angeordnet. Ihre Aufgabe bestand darin, im Verlauf des Projekts schrittweise die Feststellung der Unbedenklichkeit im Sinne der speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung vorzunehmen und ggf. in den Baukörpern vorhandene Tiere zu bergen und in neue Quartiere umzusetzen (Sichtkontrolle, indirekte Nachweise). Im Ergebnis dieser Prüfungen und der nachfolgend beschriebenen Handlungsschritte bestanden dann keine Bedenken mehr gegen einen Abriss aller Gebäude.
Eine entscheidende Voraussetzung für die behördliche Genehmigung des Abrissvorhabens war zudem die Realisierung einer umfänglichen Zahl von CEF-Maßnahmen (continuous ecological functionality) und Kompensations-Maßnahmen zur Sicherung eines hinreichenden Bestands an Fortpflanzungs- und Ruhestätten im Umfeld des Vorhabens. Bedingt auch durch die zeitlich nicht mehr möglichen ordnungsgemäßen Artenkartierungen und die daraus resultierenden Kenntnislücken wurde für die Fledermäuse und Brutvögel der schlimmste Fall der Betroffenheit (worst case) zugrunde gelegt. Daran orientierend erfolgte die Vorgabe der Einrichtung verschiedener, als Lebensstätten geeigneter Quartierstrukturen im Umfeld des Abrissvorhabens. In der Folge wurden an Altbäumen und unter Brücken, in Kellern und auf Dachböden weiterer historischer Gebäude des Ortes diverse Nisthilfen unterschiedlicher Ausführung und Konstruktion angebracht (Abb. 3). Zugleich wurden vorhandene und potentielle Quartiere optimiert, um mögliche, durch den Eingriff zu erwartende Verluste zu kompensieren.
5 Gestalterische und städtebauliche Einbindung der „Insel“
Die besondere städtebauliche und landschaftliche Situation der Fläche wird primär durch deren Insellage bestimmt. Neben den natürlichen Fließgewässern Schwarza und Ilm bilden Mühl- und Flutgraben als Bestandteile des früheren Wasserregimes der Untermühle die rahmengebenden Gewässerstrukturen der „Insel“.
War das Gelände zuvor durch eine markante, wenn auch in Teilen einsturzgefährdete Bebauung geprägt, zeigt sich nach Abriss der Gebäude nichts mehr von diesen rund 100 Jahre alten Hinterlassenschaften der historischen Industriearchitektur. Auf dem Areal der ehemaligen Untermühle, die einst als Kornmühle und später auch als Wohngebäude genutzt wurde (Abb. 4), verblieben nach deren Abriss im Frühjahr 2011 lediglich die historische Sandsteinbrücke (Abb. 5), zwei Felsenkeller und ein altes Stall- und Remisengebäude.
Hier ist zu bedauern, dass gestalterisch-planerische Kompetenzen erst zu einem sehr späten Zeitpunkt eingebracht werden konnten. Im Rahmen des Moduls „Gestalten im landschaftlichen Kontext“ präsentierten Studenten der FH Erfurt (Fachrichtung Landschaftsarchitektur) kreative Ideen, die verbliebenen Relikte der Industriekultur zu erhalten und für die Öffentlichkeit erlebbar zu machen. Denn nach wie vor birgt das historische Areal zahlreiche Potenziale für eine attraktive Gestaltung als Rast- und Erholungsort und ist dank seiner unmittelbaren Lage am Ilmradweg ein idealer Ort des Erinnerns.
6 Fazit sowie weitere Hinweise
Im Rückblick der wissenschaftlichen Begleitung muss festgestellt werden, dass der Verzicht auf eine grundlegende und frühzeitige Analyse des Untersuchungsraums und seiner Schutzgüter, wie sie im baurechtlichen Außenbereich im Rahmen der Anwendung der Eingriffsregelung erforderlich gewesen wäre, mit problematischen Folgen verbunden ist. Weder konnten rechtzeitig im Vorfeld fachlich fundierte Maßnahmen zum Schutz und zur Vermeidung von Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft entwickelt und umgesetzt werden, noch war eine wünschenswerte frühzeitige Entwicklung von Gestaltungsmaßnahmen u.a. im Umgang mit der historischen Bausubstanz der Insel möglich.
Als besonders problematisch stellten sich die artenschutzrechtlichen Belange dar. So wurden diese zu Beginn des Vorhabens aufgrund fehlender Erfahrungen der Gemeinde sowie des Sanierungsträgers nicht erkannt oder zumindest als nicht problematisch eingeschätzt. Nur der besondere Kompromiss sowie die sehr kurzfristig in Auftrag gegebene spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP-Gutachten), inklusive einer eingeschränkten Erfassung erkennbarer Quartiere und Lebensstätten von Fledermäusen und Brutvogelarten durch Spezialisten und die daraus resultierenden Handlungen und Maßnahmen, konnten letztlich ein Scheitern des Vorhabens noch verhindern.
Hierbei ist ausdrücklich zu betonen, dass die hier getroffene Entscheidung zu einer worst-case-Annahme in Verbindung mit einem Maximum an vorgezogenen CEF-Maßnahmen nur als ultima ratio, nicht aber als beispielhaft angesehen werden kann. Bei einer negativen Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu Ungunsten des Abrissvorhabens wären jedoch umfängliche Bemühungen um die Bereitstellung von Fördermitteln für dieses gesamtökologisch sinnvolle Vorhaben im Ergebnis gescheitert.
Bedingt durch die bereits erwähnte Kurzfristigkeit der saP und der damit fehlenden bzw. unzureichenden Ausgangsdaten kann auch ein fachlich fundiertes Monitoring im Sinne einer Erfolgskontrolle der CEF-Maßnahmen nicht bzw. nur eingeschränkt durchgeführt werden bzw. ist aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung abzulehnen. Zwar kann eine mögliche Annahme der künstlichen Brutstätten und Schlafplätze dokumentiert und quantifiziert werden, das erlaubt jedoch keine Rückschlüsse dahingehend, ob tatsächlich auch eine Kontinuität der Funktionen erreicht worden ist, da wie angesprochen die konkrete umfassende Ausgangsdokumentation fehlt.
Als Notlösung muss auch die kurzfristige Erarbeitung eines gestalterischen Konzepts durch Studierende betrachtet werden. Während sich dieses aus der Lernperspektive durch seine Praxisnähe und Komplexität sicherlich als anregendes Studienprojekt darstellte, wäre eine professionelle und vor Abriss durchgeführte Gestaltungs- und Renaturierungsplanung im Kontext eines freiwilligen Grünordnungsplans sicherlich die fachlich bessere Lösung gewesen. Dabei hätte eine systematische Bestandsanalyse auch die aktuelle und potenzielle Bedeutung der Fläche für den Artenschutz verdeutlicht und frühzeitig auf die Notwendigkeit spezieller Artenkartierungen hinweisen können.
Besonders wichtig erscheint es im Rückblick auf das Vorhaben darauf hinzuweisen, dass die im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung erforderlichen Arterfassungen im Hinblick auf den hierfür erforderlichen zeitlichen Rahmen von in der Regel mindestens einem Jahr (noch) keine Entsprechung in der Praxis der Fördermittelvergabe und der hier häufig herrschenden terminlichen Kurzfristigkeit finden. Will man den europarechtlich zwingenden artenschutzrechtlichen Vorgaben hier jedoch gerecht werden, besteht also dringender Handlungsbedarf. Das gilt nicht nur im Hinblick auf die Datenlage, sondern auch mit Blick auf die Feststellung tatsächlich notwendiger Vermeidungs- und vorgezogener Kompensationsmaßnahmen, die nur dann effizient sowie zielführend und damit auch überzeugend umgesetzt werden können.
Werden artenschutzrechtliche Belange nicht adäquat berücksichtigt, besteht somit die reale Gefahr, dass u.a. bereit stehende Fördermittel verfallen und sehr viel persönliches und personelles Engagement ins Leere läuft. Auf mögliche Konsequenzen der sog. Freiberg-Entscheidung des BVerwG aus dem letzten Jahr, Auswirkungen hinsichtlich der Möglichkeit des Eintritts eines Umweltschadens i.S.d. § 19 BNatSchG oder der seit Mitte 2012 bestehenden Möglichkeit der Erfüllung von Straftatbeständen nach §§ 71 oder 71a BNatSchG soll an dieser Stelle lediglich hingewiesen werden.
Literatur
Gesetz zur Neuregelung des Rechtes des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG); Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009, Teil I, Nr. 5; 29. Juli 2009, Bonn.
Thüringer Gesetz für Natur und Landschaft (ThürNatG); Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen. 30. August 2006, Erfurt.
Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz (TMLFUN, 2007): Förderrichtlinie für Maßnahmen zur Revitalisierung von durch Umweltschäden gekennzeichneten Regionen (13.03.2007). Thüringer Staatsanzeiger 15/2007, 684-686.
– (2009): Förderrichtlinie für Maßnahmen zur Revitalisierung von durch Umweltschäden gekennzeichneten Regionen (Änderung v. 19. 01.2009). Thüringer Staatsanzeiger 08/2009, 409.
Link zu einem Vortrag von Ilke Marschall mit weiteren Informationen zum Vorhaben: Ein Modellvorhaben zur Revitalisierung als artenschutzrechtlicher Problemfall. Das Fallbeispiel des Rückbaus der alten Papierfabrik in Tannroda in Thüringen. Einige Ergebnisse einer wissenschaftlichen Begleitstudie im Auftrag der Gemeinde Bad Berka in Thüringen unter http://www.na-hessen.de/downloads/12n154verbotstatbestaendefallstudietannroda.pdf.
Anschrift der Verfasser(in): Prof. Dr. Ilke Marschall und Prof. Dr. Hans-Heinrich Meyer, Fakultät Landschaftsarchitektur, Gartenbau und Forst (LGF), Fachhochschule Erfurt, Leipziger Straße 77, D-99085 Erfurt, E-Mail ilke.marschall@fh-erfurt.de bzw. hh.meyer@fh-erfurt.de; Rüdiger Triller, Freier Landschaftsarchitekt BDLA, Büro für Umwelt-, Landschafts- und Freiraumplanung, Karl-Marx-Platz 3, D-99084 Erfurt, E-Mail LA.R.Triller@t-online.de.
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